GCM 2 / 2015 GERMAN COUNCIL . inhalt transparenz 04 Transparenz – was heißt das eigentlich? 10 Nur eine Maschine ist transparent 16 Die schweigende Mehrheit mobilisieren 22 Mach es einfach, dann ist es auch nachhaltig! 28 Die gläserne Speisekarte 30 Menschen zeigen für ihr direktes Umfeld mehr Verantwortung 34 Kommentar: Offen bis zur Selbstverleugnung 36 Der Council lässt tief blicken GCM 2 / 2015 GCM 2 / 2015 GERMAN COUNCIL . TRANspARENzGERMAN COUNCIL . TRANspARENz Der Begriff »Transparenz« tauchte bereits 1915 das erste Mal im Deutschen Duden auf. Dieser definierte ihn mit Durchschei- nen, Durchsichtigkeit, Durchlässigkeit, aber auch Durchschaubarkeit und Nach- vollziehbarkeit. Die Bedeutungen des Wortes sind vielfältig: Die verschiedenen Begriffserklärungen verteilen sich über physikalische Eigenschaften, Computerpro- gramme, politische Transparenz und Mark- teigenschaften. Auf lateinisch stehen die Wortteile »trans« für »(hin)durch« und »(ap)parere« für »sich zeigen, scheinen«. Rein physikalisch betrach- tet steht »Transparenz« also für die Fähigkeit von Materien, elektromagnetische Wellen hindurchzulassen. Im Alltag ist ein Gegen- stand laut Definition hauptsächlich transpa- rent, wenn wir die strahlen von Licht sehen, die sich auf der anderen seite des Gegen- standes befinden – und dies ohne streuung durch eine raue Oberfläche. Einfach ausge- wusst, dass es in neuen Techniken einige Dinge gibt, die sie nicht sehen können und die Daten abfischen, ohne sich bemerkbar zu machen. Transparenz lässt sich bei weitem nicht nur auf physisch greifbare Begriffe anwenden, son- dern ist zudem auf wirtschaftliche oder politi- sche Ebenen übertragbar. so wird die Verfüg- barkeit von Informationen über einen Markt in der Volkswirtschaftslehre als Markttransparenz bezeichnet. Je mehr Einzelheiten erkennbar sind desto transparenter ist der Markt. Transparenz der Mrkte In theoretischen Modellen gibt es die vollkom- mene beziehungsweise perfekte Markttrans- parenz: jeder Teilnehmer hat vollständige In- formationen über alle gehandelten Güter, den preis, die Qualität und sonstige Informationen. Dieses prinzip wird in Deutschland beispiels- weise von der Markttransparenzstelle für Kraft- stoffe beim Bundeskartellamt angewendet, um preise an Tankstellen vergleichen zu können oder preisstrategien der Mineralölkonzerne zu identifizieren. Das prinzip, beziehungsweise die Beschäfti- gung mit der Markttransparenz ist nicht neu. Bereits 1935 hat Oskar Morgenstern, öster- reichisch-amerikanischer Wirtschaftswissen- schaftler und gemeinsam mit John von Neu- mann der Begründer der spieltheorie, einen Aufsatz mit dem Titel »Vollkommene Voraus- sicht und wirtschaftliches Gleichgewicht« ge- schrieben. In der Arbeit, die in der zeitschrift für Nationalökonomie erschienen ist, weist Morgenstern nach, dass bei vollkommener Kenntnis aller Marktparameter kein Markt funktionieren kann. Morgenstern vergleicht den Markt mit einer vollkommen glatten Fläche, die keine Fortbe- wegung erlaubt, sondern Widerstand leisten muss. Genauso ist die unvollkommene Kenntnis der Teilnehmer Voraussetzung für das Funktio- TraNsparENz – Was hEissT Das EigENTliCh? Definitionen und Veränderungen im Laufe der zeit nieren von Märkten. Das stimmt heute noch im- mer, dennoch hat sich der Begriff der Transpa- renz verändert, – hauptsächlich durch neue Technik, das Internetzeitalter und somit viel bes- seren Möglichkeiten, einen Markt durchsichtig zu machen. Besonders Kunden verbinden den Begriff Markttransparenz heute mit einem ge- wissen Informationsgehalt, mit dem sie die un- terschiedlichen Wettbewerber vergleichen kön- nen. so sind beispielsweise Krankenhäuser ge- setzlich zu Qualitätsberichten verpflichtet. Infor- mationen darüber finden patienten häufig im Internet – auf den Webseiten der Krankenkas- sen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder von patientenorganisationen. Demokratie durch Transparenz Die größten Veränderungen der letzten Jahre in sachen Transparenz hat allerdings die politik durchgemacht. Hier ist Durchsichtigkeit vor al- lem dann vorhanden, wenn ein zustand freier Information und partizipation und eine offene Kommunikation zwischen politik und Bürgern gegeben sind. Gerade deswegen ist heute die Transparenz ein essentieller Bestandteil der Demokratie, denn Bürger können viel einfa- cher an der politik teilnehmen. politiker wer- den quasi »diszipliniert«, Machtmissbrauch wird zumindest größtenteils verhindert, bezie- hungsweise öffentlich gemacht. Da Wähler und Wählerinnen sich über fast alles offiziell informieren können, sei es durch direktes Nachfragen oder durch Berichterstattungen in den Medien, sind politiker in der Regel auch dazu angehalten, sich zu »benehmen«. so be- gegnen die Abgeordneten dem Vorwurf der Korruption nachhaltig und das Vertrauen in die Regierungsform wird gestärkt. Eben dieses Vertrauen wäre dann auch der Grund, dass die Bürger weniger Widerstand gegen politische ziele leisten. Einerseits werden sie schon im Vorfeld über Vorhaben ihrer Regierung infor- miert, andererseits haben sie als Volk auch ei- nen gewissen Einfluss. Demonstrationen ge- gen stuttgart 21 und andere politische Ent- scheidungen haben das in den letzten Jahren immer wieder gezeigt. Die politische Transparenz ist bei weitem nicht nur ein Ausdruck oder eine theoretische Wunschvorstellung. In Deutschland gilt das ak- tuelle Informationsfreiheitsgesetz seit dem 1. Ja- nuar 2006. Es gibt den Bürgern die Möglichkeit, drückt: Fensterglas ist transparent, eine Haus- wand nicht. Milchglas lässt zwar das Licht durch, sodass wir dunkle und helle Teile se- hen können, aber keine scharfe Abbildung der Gegenstände. Im zusammenhang mit Computersystemen be- deutet transparent ähnliches. Ein bestimmter Teil des systems ist zwar vorhanden und in Be- trieb, wird von den Benutzern aber so nicht wahrgenommen, ist also quasi »unsichtbar«. so ist beispielsweise der Transport von Telefonge- sprächen für den Endkunden meist transparent. In den Daten- und Telefonnetzen kann dieser in der Regel nicht feststellen, wie der Transport ge- routet wird: über satelliten, Unterseekabel, Richtfunk oder herkömmliche Telefonkabel. Während sich »normale« Nutzer früher oft nicht dafür interessiert haben, ob und wie transparen- te server und programme miteinander arbeiten, sind sich die Menschen nach NsA- und snow- den-skandal sowie verschiedenen Hacker-An- griffen auf Facebook, sony und Co. durchaus be- Transparenz ist ein wichtiger Bestandteil unserer Unternehmens- kultur. Mit Offenheit und Geradlinigkeit schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass jeder Einzelne zur Gestaltung der Arbeits- gemeinschaft dm beitragen kann. Je bes- ser die Kolleginnen und Kollegen Einblick in die Entwicklung von dm haben und die Zusammenhänge des Unternehmens verste- hen, desto initiativer können sie ihre Aufga- ben wahrnehmen, Verantwortung überneh- men und sich dabei persönlich weiterent- wickeln. Das Prinzip der Transparenz gilt auch gegenüber unseren Kunden, etwa bei der Preisgestaltung. Seit 1994 setzen wir bei dm auf günstige Dauerpreise statt kurzfri- stiger Sonderangebote. Denn so können sich die Kunden auf günstige Dauerpreise verlas- sen, statt auf kurzfristige Rabatte reagieren zu müssen. Die Dauerpreise gelten für alle angebotenen Produkte und werden minde- stens vier Monate lang nicht erhöht. Das »nicht erhöht seit"-Datum auf dem Preiseti- kett am Regal macht Änderungen für Kun- den transparent. Schließlich pflegen wir auch gegenüber unseren Partnern eine faire, auf Langfristigkeit und Transparenz angelegte, Zusammenarbeit. Ein intensiver Informati- onsaustausch schafft die Basis dafür, dass wir gemeinsam auf die Bedürfnisse unserer Kun- den eingehen und gemeinsame Zielsetzungen verwirklichen können. Erich Harsch dm ©SemmickPhoto-Shutterstock ©SergeyNivens-Fotolia.com GCM 2 / 2015 GCM 2 / 2015 GERMAN COUNCIL . TRANspARENzGERMAN COUNCIL . TRANspARENz Der bekannte südkoreanische Autor und Es- sayist Byung-Chul Han, Professor für Philo- sophie und Kulturwissenschaft an der Uni- versität der Künste in Berlin, beschäftigt sich in seiner aktuellen Forschung mit transpa- rentem Verhalten, das er als durch neolibe- rale Marktkräfte erzwungene kulturelle Norm interpretiert. In einem ausführlichen Interview spricht er unter anderem über die Gewalt der Transparenz, den Segen des Ge- heimnisses – und Peter Schlemihl, der sei- nen Schatten an den Teufel verkaufte. Herr Han, kaum ein Schlagwort bestimmt so sehr den öffentlichen Diskurs wie das der Transparenz. Woran liegt das? Byung-Chul Han: Derzeit ist offenbar ein pro- zess im Gange, der sich zwar in den Begriff Transparenz kleidet, aber in Wirklichkeit weit darüber hinausführt. Was meinen Sie damit? Byung-Chul Han: Ich höre etwas Gewaltsames aus diesem Wort heraus. Als würde man gna- denlos durch- und ausgeleuchtet, hätte keinen Rückzugsraum. so gesehen könnten wir von der Gewalt der Transparenz sprechen. Der Begriff setzt sich aus den lateini- schen Wörtern trans und parere zu- sammen. parere bedeutet ursprüng- lich: auf jemandes Befehl erscheinen, sichtbar sein. Das Wort parieren be- deutet auch: ohne Widerspruch ge- horchen. Im Moment scheint die Transparenz tatsächlich diesen zwangscharakter angenommen zu haben. sie erscheint mir wie ein Instrument der Kontrolle und Überwachung. Das ist eine ungewöhnliche Sicht. Byung-Chul Han: Natürlich bedeutet Transpa- renz auch mehr Offenheit, mehr Demokratie und weniger Korruption. Aber es ist wichtig, den Be- griff der Transparenz über diese stereotype Defi- nition hinaus zu verdeutlichen. Man muss ihn ei- ner Beobachtung höherer Ordnung unterziehen. Gegenüber nur austauschen, wenn ich nicht al- les sofort ausspreche, was ich über ihn denke. Wenn es tatsächlich immer nur Transparenz ge- geben hätte, wäre die menschliche Kultur nicht entstanden. Geheimnis bedeutet nicht einfach Machtmissbrauch und Gewalt. Es ist kulturbil- dend. Der deutsche philosoph und soziologe Georg simmel schrieb einmal, das Geheimnis sei eine der größten Errungenschaften der Mensch- heit. Gegenüber dem kindischen zustand, in dem jede Vorstellung sofort ausgesprochen, jede Handlung allen Blicken zugänglich werde, sei durch das Geheimnis eine ungeheure Erwei- terung des Lebens erreicht, weil viele Inhalte bei völliger Offenbarung überhaupt nicht entstan- den wären. Dieser interessanten Vorstellung nach bietet das Geheimnis die Möglichkeit einer zweiten Welt neben der offenbarten. Demnach würde eine totale Transparenz des Lebens es um eine ganze Welt ärmer machen. In welchen Lebensbereichen schadet Offenheit noch? Byung-Chul Han: Es gibt sehr viele gesell- schaftliche systeme, für die die Transparenz eine sehr destruktive Wirkung hätte. so gibt es beispielsweise keine transparente Re- ligion. Man darf nicht vergessen, dass die menschliche Kommunikati- on nicht transparent ist und nicht transparent sein kann. Die erotische Kommunikation etwa ist eine Kom- munikation, die in sich selbst nicht transparent ist. Die Verführung be- ruht auf dem Geheimnis. stellen sie sich ein transparentes Denken vor: Es ist kein Denken mehr, sondern ein Rechnen. Der Computer als Rechenmaschine ist sich selbst transparent. Dem Denken jedoch wohnt immer ein Rest an Dunklem inne. Die totale Of- fenlegung ist eine totale starre. sie zerstört die Lebendigkeit. Ist Offenheit in der Politik nicht erstrebenswert? Byung-Chul Han: Es ist natürlich begrüßens- wert, dass Missstände aufgedeckt und Korrupti- NUr EINE MASCHINE IST TrANSPArENT Der philosoph Byung-Chul Han über die Gewalt der Transparenz, den segen des Geheimnisses – und peter schlemihl, der seinen schatten an den Teufel verkaufte on bekämpft wird. Man darf aber nicht verges- sen, dass die Offenlegung auch diabolische sei- ten hat. Die Gefahr besteht darin, dass die trans- parente Gesellschaft von heute in eine Kontroll- gesellschaft umschlägt. Die unzähligen Überwachungskameras verdächtigen jeden von uns. sie stellen die Kehrseite der durchsichtigen Gesellschaft dar. Der Nackt-scanner, der den Kör- per durchleuchtet, ist, über seinen tatsächlichen Nutzen hinaus, ein symbol unserer zeit. Der Ruf nach Transparenz deutet vor allem auf die heuti- ge Vertrauenskrise hin. In einer kleinen Gemein- schaft, in der jeder jeden kennt, herrscht Gewiss- heit. Die Frage nach Vertrauen stellt sich erst in einer größeren Gesellschaft, in der aufgrund ih- rer Komplexität keine unmittelbare Gewissheit möglich ist. Das Vertrauen ist ein zustand zwi- schen Wissen und Nichtwissen. Es ermöglicht ge und Kontrolle aus. Rückzugsräume, in de- nen ich mich meinen besonderen Neigungen hingeben könnte, wären ökonomisch ineffizi- ent. Die Ausleuchtung wäre hier eine sehr effi- ziente Form von Ausbeutung. Heute leben wir alle in einem »Big Brother«- Container, in dem es nicht möglich ist, sich zu verbergen, ein Geheimnis zu haben. Es ist eine Ironie, dass die aktuelle staffel der Fernsehse- rie »Big Brother« den Titel »The secret« trägt. Jeder kommt in den Container mit einem Ge- heimnis. Wer das Geheimnis des anderen ent- deckt, bekommt ein »Goldenes Ticket« und ist sicher vor dem Rausschmiss, bis auch einer der anderen das Geheimnis entdeckt. Eine schreck- liche Gesellschaft. Hier ist keine menschliche Beziehung mehr möglich, keine Freundschaft, ›Auch das Erotische setzt das Geheimnis voraus. Wo es ganz verschwindet, beginnt die Pornografie.‹ Byung-Chul Han Macht Transparenz die Kommunikation effizi- enter oder demokrati-scher? Byung-Chul Han: Nicht unbedingt. sie kann die menschliche Kommunikation geradezu zer- stören. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. zwei Computer können miteinander kommu- nizieren ohne jede Geheimhaltung und Ver- heimlichung von Information. Eine total trans- parente Kommunikation wäre eine rein ma- schinelle oder funktionale. Eine menschliche Kommunikation und die totale Offenlegung schließen einander aus. Gerade der Mangel an Transparenz macht die menschliche Kommuni- kation erst spannend und interessant, aber na- türlich auch gefährlich. Aus dem Leben lässt sich aber nicht jedes Risiko eliminieren. Es ge- hört auch zur Verführung, durch die absolute Offenlegung wird diese ebenfalls zerstört. Die totale Transparenz macht uns selbst zur Ma- schine. Der Computer ist deshalb so idiotisch, weil er nichts verbergen und verheimlichen kann. Nicht einmal das passwort schützt ihn vor seiner prinzipiellen Dummheit. Im Gegen- satz zum Rechner kommt der Mensch ohne passwort aus, weil er zum Geheimnis fähig ist. stellen sie sich zwei schachspieler vor, die Ge- danken lesen können. Es käme kein spiel zu- stande. Die völlige Transparenz würde für ei- nen Kurzschluss der Kommunikation sorgen. Das Geheimnis ist konstitutiv für die spannung eines spiels. Was heißt das, abseits dieses Beispiels? Byung-Chul Han: Vieles im Leben, vieles auch in der politik und Diplomatie ist ein spiel, ein strategisches spiel. Ich kann mich mit meinem eine Handlung trotz des Nichtwissens. Gerade da, wo das Vertrauen schwindet, wird der Ruf nach mehr Transparenz laut. Da aber kein Ver- trauen mehr da ist, wird sie allein durch Kontrol- le erreicht. Aber Transparenz in der Wirtschaft ist doch sinnvoll? Byung-Chul Han: Die Transparenz erhöht wo- möglich die Effizienz. sie ist vielleicht kein ethi- scher oder politischer, sondern letzten Endes ein ökonomischer Imperativ. sie vernichtet deshalb Rückzugsräume, weil dadurch mehr Effizienz, mehr Leistung erwartet wird. Die Of- fenheit und Transparenz bringt nicht nur mehr Freiheit, sondern auch mehr zwang hervor. Die offenen Büroräume etwa, in denen ich den Bli- cken anderer ausgesetzt bin, üben auch zwän- ©MichaelHudler transparenz 10 Nur eine Maschine ist transparent german council 01 Vorwort 4 Transparenz – was heißt das eigentlich? impressum herausgeber German Council of Shopping Centers e. V. 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