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GCM 2-2015

  GCM 2 / 2015 GERMAN COUNCIL . Transparenz aus. Es aktiviert die Vorstellungskraft. In dieser Hinsicht wäre eine transparente Welt eine Welt, die sehr fade schmeckte. Das Geheimnis kann das Sein vertiefen. An die Stelle der Ver- führung tritt heute die berechnende Verfü- gung. Der Zauber weicht der Zahl. Die Transpa- renz duftet nicht. Sie beraubt auch die Zeit des Duftes. Die transparente Zeit ist ohne Ereignis, ohne Narration, sie ist eine Zeit ohne Geschich- te. Auch das Erotische setzt das Geheimnis vo- raus. Wo es ganz verschwindet, beginnt die Pornografie. Sie ebnet das Sein ein. Sie ent- leert und entzaubert es. Ist die moderne Welt offener als die der Ver- gangenheit?  Byung-Chul Han:  Es ist nicht so, dass die Welt immer transparenter wird und die vergangene Welt, etwa die des Mittelalters, ins Dunkle und Geheimnis gehüllt war. Man könnte vielmehr sagen, dass die Welt des frühen Mittelalters für die damaligen Menschen viel durchscheinen- der war, als die heutige Welt es für uns ist. Die Welt als Schöpfung Gottes war offenbar. Sie zeigte Gottes Herrlichkeit, war klar strukturiert und unmittelbar lesbar, ja sichtbar. Sie bedurfte keiner Hermeneutik. Auch Kommunikation war transparent. Die Transparenz beruhte auf der Übereinstimmung von Sprache und Gestik. Da- mals war es nicht notwendig, zwischen der In- tention und dem Ausdruck zu unterscheiden. Innen und Außen fielen zusammen. Darin be- steht die besondere Klarheit der Kommunikati- on, die es heute nicht mehr gibt. Auch der Herr- scher legitimierte seine Herrschaft durch die Sichtbarkeit seiner göttlichen Herrlichkeit. Hin- ter der sichtbaren und lesbaren Welt gab es nichts. Alles lag klar geordnet vor. Gott ging in der sichtbaren Ordnung der Welt auf. Glaube und Wissen sind ein Gegensatzpaar. Ab wann wurde diese »sichtbare Ordnung der Welt« hinterfragt und durch Nichtwissen ver- drängt?  Byung-Chul Han: Das Geheimnis entstand erst im späteren Mittelalter. Die Transparenz der Welt zerfiel. Gott zog sich aus der sichtbaren Welt zurück in eine geheime Sphäre. Dieser Rückzug war machtlogisch begründet. Gottes Allmacht bestand nun darin, dass er auch über die Schöpfung hinausging, sich über die Schöpfung erhob. Seine Souveränität bestand darin, dass er über den Gesetzen der Welt stand. Dieser Wandel der Theologie und der Erkenntnistheorie wiederholte sich auch in der politischen Kommunikation. Es war der Mo- ment der Geburt des politischen Souveräns und gleichzeitig der Beginn der arcana impe- rii, also der Geheimpolitik der Neuzeit. Der Herrscher war aufgrund seiner Souveränität nicht an die Gesetze gebunden. Von dieser Zeit an wurde die sichtbare Welt eine Allegorie, die einer intensiven Deutung bedurfte: Die Welt wurde geheimnisvoller. Sie wurde in Zeichen gehüllt, deren verborgener Sinn erst entdeckt werden musste. Diese politische Dimension des Geheimnisses spielt heute keine Rolle mehr. Die Legitimation der Herrschaft erfolgt auf einem anderen Weg. Die Politik als solche ist heute viel durchschaubarer als etwa vor 300 Jahren, wo alle politischen Entscheidungspro- zesse geheim blieben. Das ist wohl eine positi- ve Seite der Transparenz. Kann man Transparenz gleichsetzen mit dem Streben nach Wahrheit?  Byung-Chul Han:  Die Wahrheit ist ein viel komplexeres Phänomen als die Transparenz selbst. Wenn man den Heideggerschen Wahr- heitsbegriff zugrunde legt, kann man sogar sa- gen, dass die Transparenz die Wahrheit un- möglich macht. Die Wahrheit als »Unverbor- genheit« setzt das Geheimnis der Verborgen- heit voraus. Ich habe bereits von der heutigen Vertrauenskrise gesprochen. Herrscht kein Vertrauen, so werde ich ausgeleuchtet. Ist der gläserne Mensch wahr? Ist er wahrer als ein Mensch mit vielen Geheimnissen? Die Wahr- heit ist eine Übereinstimmung von Innen und Außen. Die Transparenz bringt die Grenze selbst zum Verschwinden, die das Innen vom Außen trennt. Der transparente Mensch wird zu einem berechenbaren, funktionellen Ele- ment eines Systems nivelliert. Nur eine Maschi- ne ist transparent. Welche Wirkung hat die Transparenz auf Macht?  Byung-Chul Han:  Die Transparenz baut Struk- turen ab, die für die Machtkommunikation notwendig wären. Das Geheimnis ist konstitu- tiv für die Machtkommunikation. Wer Geheim- nis hat, hat auch die Macht. Das Geheimnis au- ratisiert die Macht. Die Transparenz, die Macht und Geheimnis abbaut, gehört zum Prozess der Demokratisierung, der begrüßenswert ist. Die Demokratie beruht ja auf einem offenen Dialog. Andererseits kann aber die Machtkom- munikation, wie der Soziologe Niklas Luh- mann erklärt, stark die Komplexität reduzieren und den Entscheidungsprozess massiv be- schleunigen. So gesehen sorgt die Macht wie- derum für mehr Transparenz. Welche Lehren sollte der Einzelne aus all dem ziehen?  Byung-Chul Han:  Dazu möchte ich gerne auf »Peter Schlemihls wundersame Geschichte« von Adelbert von Chamisso hinweisen. Hier ver- kauft Schlemihl dem Teufel seinen Schatten ge- gen ein Wundersäckel voller Gold, das nie ver- siegt. Am Ende der Geschichte erteilt Schlemihl dem Chamisso den Rat: »Und Dich, mein lieber Chamisso, hab’ ich zum Bewahrer meiner wun- dersamen Geschichte erkoren, auf dass sie viel- leicht, wenn ich von der Erde verschwunden bin, manchen ihrer Bewohner zur nützlichen Lehre gereichen könne. Du aber, mein Freund, willst Du unter den Menschen leben, so lerne verehren zuvörderst den Schatten.« Interview: Oliver Link, Redakteur brand eins brand eins Wirtschaftsmagazin 07/2011

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