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GCM 3-2012

  GCM 3 / 2012 GERMAN COUNCIL . Verführung für Fortgeschrittene »Das Publikum schwebt raus!« Ein Interview mit Prof. Bernhard Paul nen Applaus hatte das Theater mit Bajazzo noch nie! Sie haben ein 60-Mann-Orchester plus Chor, Statisten und Schauspieler – alles sub- ventioniert. Dann kommen wir in die Manege, machen ein paar Sa- chen, und das Publikum flippt aus! In der eher drögen Opernszenerie wirkt das doppelt. Besuche ich ein Einkaufscenter und seh’ den üblichen Branchenmix von H&M bis Starbucks, langweilt mich das. Ich lebe in so vielen Städ- ten, hab’ aber manchmal das Gefühl, gar nicht mehr weiterzuziehen, so gleich sieht alles aus! Schwerin hat diese wunderbar restaurierte Altstadt, mit einem Eckgeschäft, das Wohninterieur verkauft. Aber eine originelle Kollektion, für die überall herumgereist wurde! Es zog mich förmlich rein. Dies kombiniert mit unglaublichem selbst gebackenen Kuchen, einer Riesenespressomaschine und zwei hübschen Ladenbe- sitzerinnen, die sagten: »Wir kennen Sie, Sie sind vom Zirkus Roncalli.« Dann erzählten sie voll Herzblut, wie sie den Laden gebaut, bemalt und eingerichtet haben. Das ist ein Spiel der Sinne, das überrascht! Wo liegt der Unterschied? Emotionen ansprechen! Das predige ich auch im Zirkus wie ein Missio- nar! Früher betrat man den Frisiersalon und eine Zeremonie begann: Kling-klong, schwere Ledersitze mit Nackenstütze und umkehrbarem Sitz, damit er nicht noch warm vom Vormann war. Dann gab es Kaffee, heiße Tücher, Kopfmassage und zum Schluss etwas Puder und Brillanti- ne. Das war Inszenierung! Der Friseurbesuch ist ein intimer Akt – eine Frau, die dort mit Silberpapier im Haar sitzt, möchte dabei nicht er- wischt werden! Doch heutige Salons haben riesige Glasscheiben, Ne- onlicht der schlimmsten Sorte, mischen Frauen und Männer, und der Friseur trägt T-Shirts, den erkennt man nimmer – das kann keinen Spaß machen! Biete dem Publikum etwas, wo es sich wohlfühlt! Auch der Zirkus bot kein Wohlfühlerlebnis mehr. Das besang Udo Jür- gens 1976 in dem Lied »Der Zirkus darf nicht sterben«. Just in dem Jahr stiegen Sie ein. Ich hab ja den Antizirkus geboten! Unser Slogan war Salto vitale, nicht Salto mortale – der Sprung ins Leben, nicht in den Tod! Die Branche Text: Rahel Willhardt Verführung ist ein Spiel mit Dramaturgie und Details. Bernhard Paul be- herrscht beides. Ebendeshalb konnte er mit Roncalli den Zirkus wieder populär machen. Im Gespräch mit einem Materialisierer von Traum- welten, der mit beiden Beinen im Leben steht. Herr Paul, Sie als Inszenierungsprofi, fühlen Sie sich verführt, wenn Sie ein Shopping Center besuchen? Verführung heißt, es muss Überraschungen geben! Wir inszenierten gerade mit dem Schweriner Staatstheater die Oper Bajazzo, die im Zirkus spielt. Bisher wurde sie mit Bühnenkulisse von Schauspielern in Artistentrikots aufgeführt, die ein Spektakel ankündigten, das nie losging. Bajazzo ist eine kurze Oper. Statt wie üblich die Cavalleria rusticana dranzuhängen, haben wir unsere Artisten eingebaut. So ei- ©Roncalli

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