German Council Magazin 05.2017 - page 31

GCM 5/2017

GERMAN COUNCIL . Integration
© Zytglogge
Jahren taten sich die Menschen dreier Täler
zusammen, um gegen äußere Feinde zusam­
menzustehen. Ihren feierlichen Schwur auf
dem Rütli, einer Wiese am Vierwaldstättersee,
haben sie festgehalten auf einem 32 mal 20
Zentimeter großen Pergamentblatt, bis heute
sicher verwahrt im Bundesbriefmuseum in
Schwyz: »Darum haben alle Leute der Tal­
schaft Uri, die Gesamtheit des Tales Schwyz
und die Gemeinde der Leute der unteren Tal­
schaft von Unterwalden im Hinblick auf die
Arglist der Zeit zu ihrem besseren Schutz und
zu ihrer Erhaltung einander Beistand, Rat und
Förderung mit Leib und Gut innerhalb ihrer
Täler und außerhalb nach ihrem ganzen Ver­
mögen zugesagt gegen alle und jeden, die ih­
nen oder jemand aus ihnen Gewalt oder Un­
recht an Leib oder Gut antun.«
Die drei Ur-Kantone widerstehen nicht nur
deutschen Königen und wiederholten Angrif­
fen des Adelsgeschlechts der Habsburger. Sie
gewinnen über die Jahrhunderte hinweg im­
mer mehr Regionen des Alpenlandes für ihren
Bund. Welche Talschaft oder Stadt auch im­
mer den Eid auf die Genossenschaft schwört,
ist willkommen. Egal, ob deren Menschen
Deutsch, Italienisch, Französisch oder Rätoro­
manisch sprechen, ob sie römisch-katholisch,
evangelisch-reformiert sind oder einer Freikir­
che angehören. Was zählt, ist allein der Wille,
die Gemeinschaft und die ihr zugrunde lie­
gende Basisdemokratie zu schützen.
Neutralitt als Volksbekenntnis
»Mehr als nur eine große und gut ausgerüstete
Armee sah die Viehhirten der Schweiz als leichte
Beute, nur um an den Alpenpässen zu sterben«,
schreibt 1842 der britische Parlamentarier und
Historiker Thomas Babington Macaulay. Wehr­
haft erweist sich die Eid­
genossenschaft auch in
den beiden Weltkriegen.
Einerseits neutral allen
Kombattanten
gegen­
über, gibt sie sich anderer­
seits betont kämpferisch.
Als das Land nach der
Kapitulation Frankreichs
am 25. Juni 1940 vollständig von Hitlers Ach­
senmächten eingekreist ist, stimmen die Bun­
desräte Enrico Celio, Philipp Etter und Marcel
Pilet-Golaz in einer Radioansprache auf Italie­
nisch, Deutsch und Französisch die Bevölke­
rung auf einen drohenden Angriff ein. Armee­
oberbehelfshaber Henri Guisan ruft am sel­
ben Tag sämtliche höheren Offiziere zum Rap­
port auf die Rütliwiese und lässt sie auf dem
gehören islamischen Religionsgemeinschaften
an. »Gehört der Islam zur Schweiz?« – die 1960
in Wien als Tochter eines Ägypters und einer Ös­
terreicherin geborene und 1971 in die Schweiz
übergesiedelte Muslima Jasmin El Sonbati beant­
wortet diese Frage in ihrem gleichnamigen Buch
mit einem klaren »Ja«. Als Kronzeugin für ihr Ur­
teil zitiert die Journalistin ihre fromme, in Ägyp­
ten geborene Tante Futna. Die meint: »Im Grun­
de genommen sind die Schweizer die besseren
Muslime, denn sie respektieren die Menschen.«
Ein Beitrag von
Richard Haimann,
freier Journalist
historischen Boden schwören, im Fall einer In­
vasion »auf ihrem Posten zu stehen«.
»Aus heutiger Sicht erscheint der Frühsommer
1940 wie ein gigantisches Experiment«, sagt der
Politikwissenschaftler Hermann. Die Schweizer
Armee hat keine Panzer und ist zahlenmäßig den
deutschen und italienischen Truppen weit unter­
legen. Guisans einziger Trumpf: das Réduit – ein
Komplex von mit mächtigen Kanonen bestückten
Fortifikationen, die so tief in das Hochgebirgsge­
stein des Alpenmassivs getrieben sind, dass ihnen
Flugzeuge und Artilleriegeschosse kaum etwas
anhaben können. Griffen die Achsenmächte an,
müssten sie einen immens hohen Blutzoll zahlen.
Die Rechnung der Eidgenossen geht auf: »Die
Bezwingung der sich erbittert verteidigenden
Truppen im Hochalpenreduit wird eine schwer
zu lösende Aufgabe darstellen«, urteilt Franz
Böhme, General der deutschen Gebirgstrup­
pen. Das Schweizer Heer sei durch den »Aus­
bau der natürlichen Hindernisse des Landes in
der Lage, auch gegen einen überraschenden
Angriff an den Grenzen zeitlich begrenzten
Widerstand zu leisten und sich im Hochgebir­
ge längere Zeit zu halten«, analysiert der Ge­
neralstab des Heeres in Berlin und ergänzt:
»Die Entschlossenheit von Regierung und
Volk, die schweizerische Neutralität gegen je­
den Angreifer zu verteidigen, steht außer Zwei­
fel.« Hitler und Mussolini blasen den unter
dem Code »Operation Tannenbaum« vorberei­
teten Angriff auf die Eidgenossenschaft ab.
So standhaft sich die Schweizer gegen poten­
zielle Angreifer von Außen geben, so offen
sind große Teile der Bevölkerung gegenüber
Fremden, die in ihr Land kommen. Zum einen
aus wirtschaftlichen Gründen: Millionen Tou­
risten bringen Jahr für Jahr Milliarden von
Euro, Dollar, Pfund, Yen
und Yuan in die Kassen.
Zum anderen, weil die
Schweizer längst nicht
mehr allein die florieren­
de Ökonomie am Laufen
halten können. Rund 25
Prozent der Einwohner
haben keinen Schweizer
Pass, genießen aber dau­
erndes Aufenthaltsrecht, weil ihre Arbeitskraft
benötigt wird – in der Hotellerie, in der Indus­
trie, im Finanzwesen.
Etliche »Gastarbeiter« werden irgendwann zu
Schweizern, geben ihre eigene Staatsangehörig­
keit auf, um Eidgenossen zu werden. 35 Prozent
der Bevölkerung hat einen Migrationshinter­
grund, 5,1 Prozent – rund 450.000 Menschen –
Was die Schweiz zusammenhält, Zytglogge Verlag Basel
›Das Gewebe, das die
Schweiz zusammenhält,
ist vom Kleinen her
gewoben.‹
Michael Hermann
Jetzt verfügbar!
Die neue GCM-APP
1...,21,22,23,24,25,26,27,28,29,30 32,33,34,35,36,37,38,39,40,41,...92
Powered by FlippingBook