German Council Magazin 05.2017 - page 24

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GCM 5/2017
GERMAN COUNCIL . Integration
Wie Schrumpfgeld den Euro ergänzt
Bezahlen lässt sich nur mit Nationalwährungen wie Euro, Dollar, Franken oder Yen? Falsch.
Zwei neue Zahlungsmittel sind stark im Kommen: Regionalgeld wie der Chiemgauer und
Cyber Currencies wie Bitcoin. Mit unterschiedlichen Funktionen passen sie bestens in eine
integrierte Finanzwelt und stärken die lokale Wirtschaft
Wenn es um Mode geht, ist der Unterforsthu­
ber die erste Adresse in Traunstein. Zentral am
Stadtplatz gelegen bietet das vor 109 Jahren
gegründete Kaufhaus mit der lindgrün gestri­
chenen Fassade auf zwei Stockwerken Labels
wie Betty Barclay, Bugatti, Hudson und Via Ap­
pia. Doch anders als in Großstadt-Warenhäu­
sern müssen die Kunden hier keine Euro-No­
ten zücken, wenn es ans Bezahlen geht. »Wir
nehmen auch Chiemgauer«, sagt Geschäfts­
führerin Annerose Dirnberger.
Der Chiemgauer – das ist eine von 45 Regional­
währungen, die in den vergangenen Jahren in
Deutschland als Reaktion auf immer wieder­
kehrende Krisen an den Finanzmärkten ent­
standen sind. Weltweit gibt es inzwischen mehr
als 1.000 solcher Alternativgelder: vom WIR in
Tatsächlich zeigt das Beispiel des Kaufhauses
Unterforsthuber, dass Alternativgeld keines­
wegs eine spinnerte Idee weltfremder Idealisten
ist. Vielmehr finden die Komplementärwährun­
gen in ihren Verbreitungsgebieten stetig wach­
senden Zuspruch bei Einzelhändlern, Handwer­
kern und Verbrauchern. »Allein mit dem Chiem­
gauer wurden dieses Jahr bereits Waren und
Dienstleistungen im Gesamtwert von mehr als
6,5 Millionen Euro bezahlt«, sagt Christian Gel­
leri, Vorstand der Regios-Genossenschaft in
Prien am Chiemsee, die Abrechnungsdienstleis­
tungen für eine Reihe von Regionalgeld-Initiati­
ven vornimmt. Die Zahl überrascht auf den ers­
ten Blick. Denn im Verbreitungsgebiet der Kom­
plementärwährung rund um den Chiemsee le­
ben nur 200.000 Menschen. Und von der Regio­
nalwährung existiert lediglich das Äquivalent
von 200.000 Euro in gedruckten Noten von 1 bis
50 Chiemgauern. Umgerechnet weitere 621.000
Euro sind in elektronischen Chiemgauern im
Umlauf – insgesamt ein Bestand im Wert von
nur 821.000 Euro.
Bitte schnell ausgeben!
Dass das wenige Alternativgeld innerhalb der
überschaubaren Einwohnerzahl dennoch so häu­
fig den Besitzer wechselt, liegt an dessen Kons­
truktion: »Regionalwährungen sind Schrumpf­
währungen«, erklärt Lietaer. »Sie sind gezielt so
angelegt, dass sie nicht zum Werterhalt die­
nen.« Dafür sorgt ein Negativzins. »Wird der
Chiemgauer nicht ausgegeben, verliert er an
Wert«, sagt Gelleri. 1,5 Prozent Wertverlust
sind es pro Quartal – sechs Prozent im Jahr.
Schützen können sich die Besitzer davor nur, in
dem sie mit der Alternativwährung stetig neue
Waren oder Dienstleistungen erwerben. Bei je­
der Transaktion werden die Scheine der Alter­
nativwährung mit einer Marke versehen und
sind damit für die kommenden drei Monate
vor Wertverlust geschützt.
»Das Schrumpfgeld stärkt die lokale Wirtschaft,
weil es den Konsum vor Ort fördert«, sagt Gel­
der Schweiz über den Waldviertler in Österreich
und den EcoRoma in Italien bis zum Ithaca-Dol­
lar und das Mo‘ Money in den USA. Für den frü­
heren belgischen Zentralbanker und Co-Desig­
ner des Euro-Vorläufers ECU, Bernard Lietaer,
sind diese die offiziellen Währungen ergänzen­
den Komplementärzahlungsmittel nichts weni­
ger als »das Geld der Zukunft«. In das internatio­
nale Währungssystem – bislang dominiert von
Dollar, Euro, Franken und Yen – würden neben
Crypto Currencies wie dem Bitcoin künftig auch
Regionalgelder immer stärker integriert wer­
den. »Für unterschiedliche Aufgaben, werden in
der Zukunft unterschiedliche Geldarten genutzt
werden«, sagt der 75-jährige Lietaer, der heute
an der University of California in Berkeley über
nachhaltige Wirtschafts- und Finanzsysteme
forscht und lehrt.
© Tsokur – istockphoto.com
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