German Council Magazin 05.2017 - page 14

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GCM 5/2017
GERMAN COUNCIL . Integration
Das wertvollste Dokument der Welt
Insgesamt leben hierzulande rund drei Millionen Türken und Türkischstämmige.
Nur ein Sechstel von ihnen besitzt neben der eigenen auch noch die deutsche Staatsbürgerschaft.
Russlanddeutsche hingegen sind von der ersten Stunde an deutsche Bürger mit allen Rechten
und Pflichten – und viel schneller auch wirtschaftlich erfolgreich. Ist der deutsche Pass demnach
eine wichtige Voraussetzung für gelungene Integration? Der Migrationsforscher Thomas
Straubhaar ist davon überzeugt
Herr, Professor Straubhaar, seit den 1960er Jah-
ren leben Türken und Türkischstämmige in
Deutschland – inzwischen in vierter Generati-
on. Dennoch gelten sie als so erfolglos wie kei-
ne andere Immigrantengruppe. Wie kann das
sein?
Von allen Menschen mit Migrationshinter­
grund hierzulande sind die türkischstämmi­
gen am schlechtesten gebildet. Bei der schuli­
schen Bildung erreichen weniger als 60 Pro­
zent mehr als den Hauptschulabschluss. Noch
düsterer ist das Bild bei der beruflichen Bil­
dung. Fast zwei Drittel haben keinen Berufsab­
Türken sind auch am stärksten von Armut be-
troffen. Im Durchschnitt hat ein türkischer Haus-
halt nur 1.242 Euro netto zur Verfügung. Sind
Türken fauler als andere, oder werden sie nur
schlechter bezahlt?
Nein, fauler sind sie nicht. Aber man kann da­
von ausgehen, dass das schlechte Ausbildungs­
niveau verantwortlich für das geringe Einkom­
men ist. Ohne Bildung und Abschluss wird man
schlechter bezahlt und auch viel häufiger ar­
beitslos. Die türkischen Zuwandernden sind
auch keine homogene Gruppe. Da gibt es zum
einen die kleinen Familienbetriebe von Obst­
händlern, Schneidern, Handwerken, die sehr
viel mehr arbeiten als der Durchschnitt und
durchaus erfolgreich sind. Insofern sind Durch­
schnittszahlen auch immer irreführend. Denn
tatsächlich ist der Wunsch nach Selbstständig­
keit bei Türken viel größer ausgeprägt als bei
Deutschen. Leider gehören auch die zahlrei­
chen Selbstständigen dazu, die den Sprung in
den deutschen Arbeitsmarkt nicht geschafft ha­
ben – und nicht wirklich freiwillig selbstständig
sind – beispielsweise als Taxifahrer mangels
fehlender Alternativen.
Kriegen andere Einwanderer das alles besser
hin?
Ja, durchaus. Bei Menschen aus Osteuropa –
dazu gehören auch die Aussiedler – sind es 85
Prozent, die einen Realschulabschluss oder so­
gar das Abitur schaffen. Der Prozentsatz ist hö­
her als bei den Deutschen ohne Migrationshin­
tergrund. 17 Prozent aller Aussiedler und sogar
30 Prozent der 17- bis 45-Jährigen Menschen
aus Osteuropa erlangen einen akademischen
Abschluss. Sie verfügen durchschnittlich auch
über gut 240 Euro mehr monatliches Einkom­
men als die Türkischstämmigen.
Haben Sie eine Erklärung für diese diametrale
Entwicklung?
Ein Grund dafür, dass Aussiedler aus Russland
oder Polen viel höher motiviert sind, sich in
Deutschland einzuleben und auch voranzukom­
men, ist sicher die Tatsache, dass sie vom ersten
schluss. Bei den türkischen Frauen ist es noch
dramatischer: Da besitzen laut »Datenreport
2016«* 72 Prozent keine abgeschlossene Be­
rufsausbildung. Selbst in der dritten und vier­
ten Generation, den 17- bis 45-Jährigen, sieht
es nicht gut aus. Immerhin mehr als die Hälfte
aller Frauen dieser Altersgruppe haben keine
Lehre oder Ausbildung abgeschlossen. Der ge­
ringe Anteil an Akademikern ist generell auch
beklagenswert: Nur fünf Prozent aller Türkisch­
stämmigen in Deutschland (acht Prozent der
17- bis 45-jährigen) haben die Hochschulreife
geschafft.
Thomas Straubhaar
©Claudia Höhne
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