German Council Magazin 05.2017 - page 6

GCM 5/2017
GERMAN COUNCIL . Integration
Archimedes von Syrakus ist ein Tausendsassa
der Antike: Astronom, Ingenieur, Mathemati­
ker, Physiker. Der Mann, der 287 vor Christi in
der gleichnamigen Hafenstadt Siziliens gebo­
ren wird, erfindet den Brennspiegel, den Fla­
schenzug, die Förderschnecke und das Zahn­
rad. Vor allem aber ist er Wegbereiter der effi­
zienten Flächen- und Volumenermittlung.
Archimedes findet heraus, dass sich der Um­
fang eines Kreises zu seinem Durchmesser ge­
nauso verhält, wie die Fläche des Rondells
zum Quadrat ihres Radius. Es ist die Entde­
ckung der Zahl Pi – und der Beginn der Inte­
gralrechnung. Jenes Teils der Mathematik, der
sich damit beschäftigt, wie durch die Integrati­
on diverser kleiner Messeinheiten das Ausmaß
gewaltiger Areale und riesiger Hohlkörper er­
mittelt werden kann. Hätte der alte Grieche
sich nicht so den Kopf zermartert, könnten wir
heutzutage nicht prüfen, ob eine Weinflasche
auch tatsächlich die angegebenen 0,75 Liter
des Rebensaftes beinhaltet.
Integration. Der Begriff hat heutzutage viele
Bedeutungen und Facetten. In Deutschland
nen Abgeordneten in die Bremer Bürgerschaft
und fünf Vertreter in das Brandenburger Län­
derparlament entsenden können.
Schon vor Jahren erregt ein anderes »Integrati­
onsthema« die kollektiven Gemüter: Die Ein­
führung sogenannter Integrationsklassen. Ge­
hören Kinder mit Behinderungen in Regelschu­
len oder nicht? Manche Eltern gesunder Spröß­
linge fürchten, Lehrer könnten deren Bildung
nicht genügend Zeit widmen, weil sie sich zu
sehr um die kleinen Menschen mit Handicaps
kümmern müssten. Andere begrüßen es, dass
ihre Kinder von der ersten Klasse an lernen, mit
Menschen zusammen zu sein, die körperliche
oder geistige Defizite haben.
»Integratio« – das lateinische Wort steht für Er­
neuerung. Für David Emile Durkheim, der 1887
an der Universität von Bordeaux die Soziologie
begründet hat, ist die fortwährende Erneue­
rung der entscheidende Unterschied zwischen
stagnierenden und sich fortentwickelnden Ge­
sellschaften. Alte, starre Gemeinschaften veror­
tet der Urvater der noch jungen Wissenschaft,
die das Zusammenleben der Menschen er­
forscht, in einer »mechanischen Solidarität«.
Zu ihrer Gemeinschaft gehört nur, wer in sie hi­
neingeboren ist und ihre Traditionen, Sitten
und Gebräuche akzeptiert. Strenge Sanktionen
gegen Abweichler dieser Normen halten derar­
tige Gesellschaften aufrecht – und verhindern
zugleich, dass sie sich durch neue Impulse fort­
entwickeln.
Unterschiedliche Herkunft,
gemeinsames Ziel
Das Gegenstück dazu findet Durkheim in der
»nicht-segmentierten Gesellschaft«: In Gemein­
schaften, in die sich Menschen unterschiedli­
cher Sprache, Rasse und Religion zusammen­
schließen, um gemeinsam Ziele zu erreichen.
Die das 19. Jahrhundert prägende industrielle
Revolution ist für den Wissenschaftler ein Bei­
spiel par excellence: Der Betrieb großer Berg-
Warum anders auch gleichzeitig neu ist
Integration. Kein anderer Begriff bestimmt gegenwärtig so sehr die gesellschaftliche Diskussion.
Meist geht es um die Frage, wie Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen miteinander
leben und arbeiten können. So mancher Skeptiker beäugt die aktuelle Entwicklung kritisch.
Dabei bedeutet Integration durchweg nur Positives. Wissenschaften wie die Soziologie, die
Ökonomie und die Mathematik stehen ganz und gar in der sprachlichen Tradition des
lateinischen Wortes »integrare«, das für »erneuern, ergänzen, geistig auffrischen« steht
birgt er vor allem jede Menge Zündstoff – seit
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr öster­
reichischer Kollege, der Sozialdemokrat Wer­
ner Faymann, in der Nacht vom 4. auf den 5.
September 2015 entschieden, die Grenzen bei­
der Länder für tausende in Ungarn festsitzende
Flüchtlinge zu öffnen. Es ist ein Schritt, der
Deutschland spalten wird. Ein Teil der Men­
schen begrüßt die Fremden. Der Wirtschafts­
manager Gerhard Cromme ist beispielsweise
überzeugt: »Menschen aus andern Ländern
bringen die Freundschaft und die Vielfalt der
Welt zu uns.«
Andere fürchten, dass die große Zahl an Frem­
den das Land und seine Menschen überfordert.
Flüchtlingsheime brennen. Die Täter haben die
klaren Worte des Altkanzlers Helmut Kohl nie
erreicht: »Wer gegen Ausländer hetzt und
brandschatzt, ist kriminell und gemeingefähr­
lich. Wer so etwas tut, kann nie und nimmer für
sich in Anspruch nehmen, ein deutscher Patriot
zu sein.« Mit der AfD zieht wieder eine
rechtspopulistische Partei erst in die Landtage,
dieses Jahr auch in den Bundestag ein. Zuvor
hatte die Deutsche Volksunion zuletzt 1999 ei­
August Thyssen
Alfred Krupp
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