German Council Magazin 05.2018 - page 34


GCM 5/2018
GERMAN COUNCIL . INTERVIEWS
Seit einigen Jahren können die Steuerzahler in
Nordrhein-Westfalen auf ihrem Steuerbescheid
sehen, wie viel Prozent die Steuer an ihrem Ein-
kommen ausmacht. Die Verwaltung hat sich un-
glaublich schwer damit getan, das überhaupt
umzusetzen. Denn nach deren Auffassung sollte
jedes Steuerformular in Deutschland gleich aus-
sehen. Da konnte es doch nicht sein, dass es in
unserem Bundesland einen zusätzlichen Punkt
gibt. Da war viel Überzeugungsarbeit nötig. Bis
heute ist Nordrhein-Westfalen das einzige Bun-
desland, in dem das so gehandhabt wird.
Das gilt aber nicht für den Hinweis, was mit den
Steuern passiert …
Ich habe einen Begleitbrief zum Steuerbescheid
eingeführt, der neben einem Dank für den ge-
zahlten Beitrag auch Beispiele dafür enthielt,
was davon finanziert werden kann. Die Idee
habe ich aus Norwegen übernommen, wo man
mit dem Gemeinwesen ganz anders umgeht als
hierzulande. Da kann man sogar im Internet
nachlesen, wie viel Steuern der örtliche Tierarzt
gezahlt hat, und dass mit dem Geld etwa ein
paar Meter der Straße nach Trondheim saniert
werden können. Auch darum gab es bei uns erst
viele Diskussionen – auch mit der politischen
Opposition, die das strikt ablehnte. Aber letzt-
endlich haben wir es eingeführt, und es ist sehr
gut angekommen bei den Steuerzahlern, was
selbst mein Nachfolger im Amt eingeräumt hat.
Aber da die CDU zuvor so sehr dagegen war,
meinte sie, es nicht so beibehalten zu können.
Schade.
Im vergangenen Wahlkampf haben Steuerthe-
men gar nicht stattgefunden, sind aber grund-
sätzlich beliebt, vor allem, weil man mit Steuer-
schränken, dann könnten wir investieren und
gleichzeitig auch die Steuern für die Ehrlichen
senken.
Gibt es überhaupt so etwas wie Steuergerechtig-
keit?
Steuergerechtigkeit ist keine naturwissenschaftli-
che Größe, die ich messen kann. Sie ist das Er-
gebnis von politischen und vor allem demokrati-
schen Prozessen. Man kann auch sagen, sie ist
das Ergebnis eines Machtspiels. Ohne angemes-
sene Mitsprache aller gibt es keinen als gerecht
empfundenen Zustand. Die hohen Einkommens-
schichten haben aber eindeutig größere Einwir-
kungsmöglichkeiten auf die Politik als die große
Masse der Menschen mit mittleren und kleinen
Einkommen. Wir müssen den Einfluss der Bezie-
her kleiner und wirklich mittlerer Einkommen
stärken – und nicht einer »gehobenen Mittel-
schicht« – womöglich mit Privatflugzeug.
Ihr Verhältnis zu Herrn Schäuble war immer gut,
wenn auch kontrovers geprägt. Sein Nachfolger
ist sogar in derselben Partei wie Sie, hält aber
gnadenlos an der Schwarzen Null fest. Streiten
Sie mit Olaf Scholz schon mal über den Sanie-
rungsstau?
Die schwarze Null funktioniert nur unter zwei Be-
dingungen: in einer außergewöhnlich guten
Wirtschaftslage und/oder durch Verzicht auf
wichtige Investitionen in die Zukunft. Diesen Ver-
zicht sollten wir uns aber nicht leisten. Die Schul-
denbremse im Grundgesetz erlaubt uns sogar In-
vestitionen: Wir dürften Kredite im Rahmen von
0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP)
pro Jahr aufnehmen, das wären aktuell rund
zwölf Milliarden Euro. Die könnte man schon
mal in die Sanierung von Infrastruktur und Schu-
geschenken um Stimmen werben kann. Können
wir uns Steuersenkungen überhaupt noch leis-
ten?
Dauerhafte Steuersenkungen mit einer zeitweise
guten Finanzlage zu finanzieren, ist verantwor-
tungslos. Wir müssen in Bildung, in klassische
und neue Infrastrukturen, in Sicherheit und Zu-
sammenhalt investieren. Das haben wir zu lange
vernachlässigt, weil die schwarze Null das einzi-
ge Ziel zu sein schien. Ja, die Steuerquellen spru-
deln zurzeit mehr als zuvor. Deshalb wären wich-
tige Investitionen sogar ohne Kredite zu finan-
zieren. Diese Situation sollten wir nutzen. Wenn
wir in dieser Ausnahmesituation stattdessen
Steuern senken und auf Investitionen verzichten
würden, was täten wir dann wohl, wenn es mal
schlechter läuft? Sollten dann die Steuern wieder
erhöht werden? Das wäre doch absurd. Die au-
ßergewöhnliche Situation, in der wir uns befin-
den, wird nicht für immer anhalten.
Was meinen Sie?
Wir profitieren zurzeit gleich doppelt: zum einen
von der wirtschaftlichen Schwäche anderer Län-
der – das drückt den Euro und fördert unsere Ex-
porte. Zum anderen profitieren wir vom enor-
men Kapitalfluss vor allem der asiatischen Staa-
ten, für die Deutschland ein sicherer Standort ist,
in den man investieren kann. Das drückt die Zin-
sen. Das wird aber nicht so bleiben; da können
wir sicher sein. Wenn man Steuern senken will,
ohne auf Dauer staatliche Standards abzusenken
und den Menschen das Geld aus der anderen Ta-
sche wieder herauszuziehen, dann müssen wir
die an die Kandare nehmen, die sich in großem
Umfang vorm Steuerzahlen drücken. Schon
wenn es uns gelänge, das, was durch Steuerbe-
trug am Fiskus vorbeigeht, zur Hälfte einzu-
© Kai Swillus / buntmetall.net (3)
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