German Council Magazin 05.2018 - page 32


GCM 5/2018
GERMAN COUNCIL . INTERVIEWS
Von vielen Seiten wird moniert, dass der Spit-
zensteuersatz früher erst beim 15-fachen des
Durchschnittseinkommens fällig wurde, heute
schon beim 1,9-Fachen …
Das ist eine ebenso trickreiche wie irreführende
Darstellung. Dabei wird schlicht unterschlagen,
dass der Steuersatz damals eben 56 Prozent be-
tragen hat und nicht wie heute 42. Früher waren
die 42 Prozent schon eher fällig als heute, näm-
lich tatsächlich schon bei einem Durchschnitts-
einkommen. Damals war das nur noch nicht die
Spitze. Der Steuersatz stieg munter weiter an bis
auf 56 Prozent. Die wurden in der Tat später er-
reicht als die heutige Spitze von 42 Prozent. Es ist
meines Erachtens pure Stimmungsmache, nur
zu argumentieren, von welchem Einkommen an
ganz unterschiedliche Höchstsätze fällig wur-
den, die übrigens nur für die Beträge oberhalb
der jeweiligen Einkommensgrenzen und nicht
für das gesamte Einkommen gelten.
Sie spielen auf die Initiative Neue Soziale Markt-
wirtschaft (INSM) an, eine von den Arbeitgeber-
verbänden getragene Lobbyorganisation, die
ebenfalls moniert, dass der Spitzensteuersatz
immer früher greift ...
Grundsätzlich habe ich nichts gegen Lobbyorga-
nisationen von Multimillionären. Auch die müs-
sen ihre Interessen vertreten. Mein Problem sind
die, die so tun, als verträten sie die Interessen
der Normalverdiener. Die INSM will mit aufwüh-
lenden Botschaften die Durchschnittsverdiener
wird. Selbst in der eigenen Partei beten Leute die
scheinplausiblen Lobby-Botschaften immer wie-
der nach. Das liegt daran, dass zu viele einen Bo-
gen um das Thema Steuern machen und deshalb
Gefahr laufen, den Rattenfängern auf den Leim
zu gehen. Mit einer gewollten Begriffsverwir-
rung wird eine Stimmung erzeugt, die fatale Aus-
wirkungen hat: Erstens wird suggeriert, dass wir
alle unglaublich hoch belastet sind, und zwei-
tens führt das zu einer Distanzierung von unse-
rem Gemeinwesen. Da herrscht dann die Mei-
nung vor, dass man nicht nur viel zu viel zahlt,
sondern die Steuern auch ausschließlich für Un-
sinn ausgegeben wird.
Was ja manchmal auch so ist. Alle Jahre wieder
berichtet der Bund der Steuerzahler über ver-
rückte Projekte und Steuerverschwendung ...
Jeder fehlverwendete Euro ist einer zu viel. Lei-
der kommt in der Öffentlichkeit meist nur das
Negative an, sodass wir den Eindruck gewinnen,
all unsere Steuern gehen ausschließlich in die
Mehrkosten des Berliner Flughafens. Dass mit
dem ganz überwiegenden Teil des Steuergeldes
alles, was wichtig ist, am Laufen gehalten wird –
von Straßen über Schulen und öffentliche Gebäu-
de – geht dabei unter.
Sie haben in Ihrer Amtszeit etwas eingeführt,
das mehr Nähe zum Bürger herstellen und ihm
zeigen sollte, wie viele Steuern er zahlt und was
damit passiert ...
vor den Karren einer bestens verdienenden Min-
derheit spannen.
Aber auch auf das Deutsche Institut der Deut-
schen Wirtschaft hat mit dazu beigetragen,
dass der Eindruck entsteht, der wohlhabende
Bürger würde vom Staat geschröpft.
Ich mache dem Institut einen gewissen Vorwurf,
weil es eine Nachricht verbreitet hat, die da lau-
tete: Jeder elfte Steuerzahler sei vom Spitzen-
steuersatz betroffen. Das war sehr spitzfindig
formuliert und verfehlte selbst bei den seriösen
Wirtschaftsmedien seine Wirkung nicht. Die
machten daraus: Jeder Elfte zahlt 42 Prozent
Steuern an den Fiskus. Eine bedauerliche Fehlin-
terpretation der Journalisten? Oder ein gewoll-
tes Missverständnis? Erstmal ist jeder Elfte nicht
die Mehrheit, sondern nur neun Prozent der Be-
völkerung – 91 Prozent sind demnach nicht be-
troffen. Und die neun Prozent sind nur mit dem
Teil ihres Einkommens betroffen, der bei einem
Single oberhalb von 54.950 Euro liegt. Viele trifft
der Spitzensteuersatz also nur für 100 oder 200
Euro. Die gesamten Einnahmen davor werden
mit 25 Prozent versteuert. Und wenn wir ehrlich
sind, liegt der wirkliche Spitzensteuersatz bei 45
Prozent und gilt nur für diejenigen, die als Single
mehr als 256.304 Euro verdienen.
Diese Geschichte ärgert Sie immer noch?
Diese Irreführung ärgert mich besonders des-
halb, weil sie von vielen kritiklos hingenommen
© Kai Swillus / buntmetall.net (2)
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