German Council Magazin 05.2018 - page 30

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GCM 5/2018
GERMAN COUNCIL . INTERVIEWS
IM GESPRÄCH MIT ...
Dr. Norbert Walter-Borjans
, bis 2017 Finanzminister in NRW. Bundesweit wurde der SPD-Politiker
bekannt durch den Ankauf von Steuer-CDs, durch die erstmals massiv gegen Steuerbetrüger
vorgegangen werden konnte. Jetzt hat der 66-Jährige ein Buch über seine turbulente Amtszeit
verfasst. Über systematische Steuerplünderung, die Gier der Skrupellosen und warum Steuern
niemals wirklich gerecht verteilt sein werden
Herr Dr. Walter-Borjans, wer Ihr Buch aufschlägt,
erfährt auf den ersten 40 Seiten erst mal wenig
über Steuern, dafür aber umso mehr über den
Zustand unserer Gesellschaft. Man findet bei Ih-
nen Sätze wie »Die Ungleichheit in Deutschland
ist größer denn je«; »Die Chance der Ärmeren
nach oben zu kommen, ist in kaum einem ande-
ren Industriestaat kleiner als bei uns«. Das wür-
de selbst Sahra Wagenknecht und ihrer Links-
Partei gefallen. Gibt es heutzutage überhaupt
noch einen Zusammenhang zwischen Armut
und Steuern?
Nicht unmittelbar. Es ist nicht so, dass in unse-
rem Land jemand allein durch seine Steuerzah-
lungen arm werden könnte. Es ist vielmehr so,
dass ich Finanzminister eines Landes war, in dem
es boomende Regionen gibt, aber auch Regio-
nen, die den Strukturwandel aus eigener Kraft
nicht bewältigen können. Wo in diesen Regio-
nen neue Jobs entstanden sind, sieht es wirt-
schaftlich nicht anders aus als in Baden-Würt-
temberg oder Bayern. Es gibt aber einen viel
größeren Anteil von Menschen, die auf Transfer-
20.000 Euro nicht versteuert. Da würde eine
Steuersenkung nichts bringen. Bei Singles ist es
die Hälfte. Wenn man da unterstützen will – vor
allem in Haushalten mit Kindern – macht man
das besser über Zuschüsse wie das Kindergeld,
über die Sozialabgaben oder aber indirekte Steu-
ern wie die Mehrwertsteuer. Da gab es zugege-
benermaßen auch einen Sündenfall der SPD. Wir
haben erst den Spitzensteuersatz drastisch ge-
senkt, was nicht automatisch zu einer Selbstfi-
nanzierung geführt hat. Und anschließend wur-
de ein Teil des Einnahmenausfalls durch eine
Mehrwertsteuererhöhung von drei Prozent kom-
pensiert.
Vom Absenken des Spitzensteuersatzes unter
Gerhard Schröder haben die Niedrigverdiener
nichts gehabt. Die erhöhte Mehrwertsteuer hat
sie indes direkt betroffen …
So ist es.
Unter Helmut Kohl wurde der Spitzensteuersatz
von 56 auf 53 Prozent gekürzt. Unter Gerhard
Schröder enorm gesenkt auf 42 Prozent bei ei-
nem zu versteuernden Einkommen von zurzeit
mehr als 55.000 Euro. Dennoch ist die Wahrneh-
mung derer, die ihn zahlen müssen, eine ganz
andere. Die beklagen, dass sie viel zu hoch be-
steuert werden. Was sagen Sie denen?
Alle, die sich beklagen, würde ich gerne fragen:
Sollen wir auf auf den Stand von 1990 zurückge-
hen? Dann müssten doch alle erleichtert sein,
die monieren, früher sei alles besser gewesen.
Da würden sich alle wundern. Tatsache ist: Wir
hatten noch nie einen so geringen Spitzensatz
und auch noch nie insgesamt eine so geringe
Einkommensteuer wie heutzutage – gemessen
an den letzten Jahrzehnten. Und zwar alle. Nur,
dass die hohen Einkommen besonders und nach
meiner Überzeugung zu stark profitiert haben.
In der öffentlichen Wahrnehmung kommt die
Steuersenkung für alle aber nicht an, weil sich
die meisten Menschen, dazu gehören auch die
meisten Politiker, nicht ernsthaft mit dem Thema
beschäftigen wollen.
leistungen angewiesen sind und keine Einkom-
mensteuern zahlen. Das zieht den Durchschnitt
bei den Pro-Kopf-Steuereinnahmen nach unten.
Solche Kommunen haben nicht nur weniger Ein-
nahmen, sondern auch mehr Ausgaben als an-
dere. Und das meist dauerhaft. Es ist in Deutsch-
land enorm schwer, es aus dem ärmeren Teil der
Gesellschaft nach oben zu schaffen. Bei uns ist
also ganz und gar nicht alles im Lot. Da braut
sich etwas zusammen, was dauerhaft sehr unge-
sund ist für eine Gesellschaft und die Demokra-
tie. Und diese Geräusche werden zurzeit schnell
überlagert von Jubelrufen über sprudelnde Steu-
erquellen, Gewinnrekorde der Unternehmen
und Minusrekorde bei den Arbeitslosenzahlen.
Dabei werden die Sorgen der Minderheit schlicht
überhört.
Würde es den Ärmeren in diesem Land helfen,
wenn man das steuerpflichtige Einkommen
noch weiter absenkte?
Schon heute wird das Bruttoeinkommen eines
Haushalts von verheirateten Partnern unter
© Kai Swillus / buntmetall.net
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