Page 21 - German Council Magazin 03.2021
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            Verteidigungslinie zur Stützung der Euro-                                                            © Fed
            zone«, sagt Christian Lips, Chefvolkswirt
            der NordLB.

            Europas Börsen beruhigt dies nicht. In
            den ersten sechs Monaten dieses Jahres
            verlieren der ESTX 50, der Index der 50
            größten europäischen Konzerne, der
            Schweizer Leitindex SMI und der deut-
            sche DAX in der Spitze jeweils mehr als
            20 Prozent – und stehen damit ähnlich
            unter Druck wie ihre Pendants an der
            Wall Street. Die Leitzinsanhebungen in
            den USA werden diesseits und jenseits des
            Atlantiks zunehmend als Gefahr gesehen.

            »Die Angst vor der Inflation ist ein wenig
            gewichen, die Angst vor der Rezession
            dafür stärker geworden«, sagt Claudio
            Saputelli, Leiter Swiss & Global Real Es-
            tate der UBS. Womöglich zurecht. Denn
            die Weltkonjunktur befindet sich seit
            nunmehr 27 Monaten in einer Phase vol-
            ler Anomalien. »In den vergangenen bei-  »Die Fed will keine Rezession verursachen.« Jerome Powell, Präsident Federal Reserve Bank
            den Jahren war die globale Wirtschaft
            durch die weltweit verhängten Lock-
            downs in der Corona-Pandemie massiv   rend zugleich der Franken um weitere   karzinsen wider. Während diese zur Jah-
            beeinträchtigt«, sagt Saputelli. 2020 be-  sechs Prozent gegen den Euro zugelegt   resmitte für zehnjährige Finanzierungen
            trug  die  Inflationsrate  in  der  Eurozone   hat. Mit einem gewünschten Nebenef-  in den USA im Schnitt bei rund 6 Prozent
            gerade einmal 0,3 Prozent. »In diesem   fekt: Der starke Franken verhindert, dass   und in Deutschland bei 3,3 Prozent lie-
            Jahr treiben der Ukraine-Krieg und die   die hohe Teuerungsrate voll auf die   gen, sind es in der Schweiz nach Berech-
            durch den Lockdown in Shanghai geris-  Schweiz durchschlägt. Im Mai dieses Jah-  nungen des Kreditvermittlers Moneypark
            senen Lieferketten die Preise von Energie,   res ist die Inflationsrate zwischen Boden-  nur 2,4 Prozent.
            Transport und Waren in die Höhe«, sagt   see und Lago Maggiore mit 2,9 Prozent
            der Immobilienökonom. »Während der   nicht  einmal  halb  so  hoch  wie  in  der   Jordan hat seine Analysten rechnen las-
            Pandemie war Klopapier knapp, heute Öl   Euro zone oder den USA.    sen, wie sich die Inflation im Land entwi-
            und Gas.«                                                           ckeln dürfte. Ihre Prognose: Im zweiten
                                              Im Juni hebt die SNB dennoch den Leit-  Quartal kommenden Jahres werde die
            Kampf gegen das                   zins um 50 Basispunkte an. »Die straffe-  Teuerung mit 1,9 Prozent wieder an der
            »Inflationsgespenst«              re  Geldpolitik  soll  verhindern,  dass  die   Zielmarke von 2 Prozent liegen. Der
                                              Inflation in der Schweiz breiter auf Wa-  Leitzins könnte dann beibehalten – oder
            Anders als Lagarde und Powell ist Jordan   ren und Dienstleistungen übergreift«,   womöglich gar wieder gesenkt werden.
            in einer vergleichsweise komfortablen Si-  sagt Jordan. Es müsse verhindert werden,   Es ist ein klares Signal des kühlen Noten-
            tuation. Die SNB hat im Zuge der Euro-  dass  sich die hohe  Inflation  über ver-  bankers an Wirtschaft und institutionelle
            krise 2015 ihren Leitzins auf minus 0,75   mehrte Zweitrundeneffekte wie starke   Immobilieninvestoren wie Pensionskas-
            Prozent gesenkt, um eine zu rasante Auf-  Lohnerhöhungen verfestigt. »Die SNB   sen, die mit ihren Liegenschaftsinvest-
            wertung des Franken, der internationalen   hat konsequent ihre Hausaufgaben ge-  ments für eine auskömmliche Altersvor-
            Fluchtwährung  schlechthin,  zu  verhin-  macht und den Versuch gestartet, das   sorge von Millionen Schweizern sorgen:
            dern. Das hat Schweizer Exportunterneh-  kleine Inflationsgespenst, das hierzulan-  Der Leitzins werde nicht so weit steigen,
            men die Zeit verschafft, ihre Geschäfts-  de droht, im Keim zu ersticken«, sagt   als dass die Konjunktur oder die Immo-
            strategien an die stärkere heimische Wäh-  Martin Neff, Chefökonom von Raiffei-  bilienmärkte Schaden nehmen werden.
            rung anzupassen, während der Franken   sen Schweiz.
            zugleich langsam aber stetig weiter gegen
            Dollar und Euro zulegt. Um zwei Prozent   Damit liegt der Leitzins aber immer noch   Ein Beitrag von
            ist die Schweizer Wirtschaft im ersten   mit minus 0,25 Prozent im negativen Be-  Richard Haimann,
            Quartal dieses Jahres gewachsen – wäh-  reich. Das spiegelt sich in den Hypothe-  freier Wirtschaftsjournalist



                                                                                        Shopping Places* Magazine 3 / 2022  19
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