Page 27 - German Council Magazin 02.2014
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          Wettbewerbsverzerrung


          durch Online-Handel



          Ein Gespräch Prof. Dr. Gerrit Heinemann









          Amazon hat im deutschen Buchhandel eine quasi marktbeherrschen-  Das alles klingt, als würde der Online-Handel dem stationären Han-
          de Stellung inne. Welche Auswirkungen sehen Sie auf den klassischen   del mit der Zeit den Rang ablaufen. Wie kann der klassische Handel
          stationären Buchhandel zukommen?                       verhindern, dass er von der Netz-Konkurrenz abgehängt wird?
          Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Amazon hat große Teile des Buchhandels   Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Indem er selbst ins Netz geht und Alter-
          bereits zerhackt und dürfte das jetzt auch bei den Verlagen fortset-  nativen zu den reinen Online-Händlern anbietet. Nur noch rund 25
          zen.  Da  Amazon  sich  nicht  an  die  hiesigen  Spielregeln  zu  halten   Prozent  der  Bevölkerung  über  14  Jahren  sind  »onlinefrei«.  Dabei
          braucht,  ohne  dass  Politik  und  Kartellamt  dem  Einhalt  gebieten,   handelt es sich überwiegend um sehr alte Kunden, die noch nie im
          sieht die Zukunft des Buchhandels düster aus. Dieser hat bei derarti-  Internet waren, oder um Analphabeten, die im Internet nicht klar-
          gen  Wettbewerbsverzerrungen  kaum  eine  Chance.  Selbst  wenn  er   kommen, sowie um Verweigerer und Ewiggestrige. Also nicht unbe-
          eine  hätte,  dürfte  es  den  weiter  zunehmenden  Trend  zum  Online-  dingt um zukunftsfähige Kundengruppen. Die meisten Kunden, näm-
          kauf nicht aufhalten.                                  lich rund 60 Prozent, sind ROPOS – ihr Motto: »Research online und
                                                                 Purchase  offline«  oder  umgekehrt.  Sie  springen  ständig  zwischen
          Wie sollte der stationäre Buchhandel auf diese Entwicklung reagie-  Online- und Offline-Kanälen hin und her. Dazu zählen vor allem die
          ren?                                                   stationären Kunden, die  ihre Kaufentscheidung bereits im Netz ge-
          Prof.  Dr.  Gerrit  Heinemann:  Er  sollte  sich  auf  breiter  Front  gegen   troffen haben und dann gezielt das nächste Geschäft aufsuchen, bei
          Amazon organisieren und die Politik in die Pflicht nehmen, für faire   dem sie den verfügbaren Artikel vorab reservieren konnten.
          Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Leider versagt der Börsenver-
          ein des deutschen Buchhandels hier völlig und vernebelt die wahre
          Wucht  der  Entwicklung.  Dennoch  sollte  der  Buchhandel  nicht  den
          Kopf in den Sand stecken. Er kann mit eigenen Online-Shops seinen         Ein Gespräch mit
          Kunden eine Alternative zu Amazon bieten, statt diese kampflos der        Prof. Dr. Gerrit Heinemann
          Maschine von Jeff Bezos zu überlassen.

          Online-Handel boomt. Nicht nur beim Geschäft mit Büchern. Welche          Das Interview führte
          Folgen sehen Sie insgesamt für den stationären Handel?                    Tobias Appelt,
          Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Hier muss differenziert werden zwischen       Redaktionsbüro Appelt & Huth
          Lebensmittel- und Non-Food-Handel. Lebensmittel sind von der Ent-
          wicklung vorerst kaum betroffen. Der stationäre Handel im Nicht-Le-
          bensmittelhandel wird allerdings bis 2020 voraussichtlich noch ein-
          mal rund 20 Prozent seiner Flächenumsätze ans Netz verlieren. Hier
          sollten die stationären Händler alles tun, um durch eigene Online-
          Shops zumindest einen Teil der Umsätze im eigenen Unternehmen   Das Redaktionsbüro Appelt & Huth ist Preisträger des GCSC-Journalisten-
          zu halten. Zugleich muss das stationäre Geschäft unter Vermeidung   stipendiums 2014.
          zusätzlicher  Flächenexpansionen  neu  erfunden  werden.  Nicht  nur,
          um den Umsatzrückgang kostenmäßig zu stemmen, sondern auch,
          um den modernen Kunden eine digitale Heimat bieten zu können.
                                                                   Professor Dr. Gerrit Heinemann leitet das eWeb Research Center
          Wie sieht diese »digitale Heimat« aus?                   der Hochschule Niederrhein. Nach fast 20-jähriger Handelspraxis
          Prof. Dr. Gerrit Heinemann: Die modernen Kunden wollen ihren La-  auch bei Douglas und Kaufhof begann er 2004 seine wissenschaft-
          denbesuch im Internet vorbereiten, und im Geschäft wollen sie dann   liche Laufbahn. Er bekleidet verschiedene Beirats- und Aufsichts-
          auch ihr Smartphone benutzen. Außerdem wollen sie das Geschäft   funktionen,  u.a.  als  stellvertretender  Vorsitzender  bei  buch.de.
          als Anlaufstelle, zu der sie mögliche Retouren bringen können. Diese   Heinemann  hat  mehr  als  150  Fachbeiträge  zu  aktuellen  Han-
          Entwicklung kann eine Chance sein, zumindest die Frequenz im stati-  delsthemen geschrieben und er ist Autor verschiedener Fachbü-
          onären  Laden  zu  halten,  auch  wenn  die  Umsätze  im  Netz  getätigt   cher  über  Online-Handel,  Mobile-Commerce,  Multi-Channeling
          werden. Hier spielen zukünftig auch »Location Based Services«, wie   und No-Line-Handel.
          etwa kaufDA, eine wichtige Rolle.

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