Page 22 - German Council Magazin 02.2014
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GERMAN COUNCIL . IN MOtION

        Menschen zu ermutigen, Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise
        sagte einmal ein Kunde zu mir: »Herr Werner, Sie haben die besten
        Kassiererinnen!«  »Wie  haben  Sie  es  gemerkt?«,  wollte  ich  wissen.
        Darauf  erzählte  er  mir,  wie  er  kurz  vor  Ladenschluss  Rasierklingen
        bei  uns  kaufen  wollte,  seinen  Geldbeutel  vergessen  hatte  und  am
        nächsten Morgen früh auf Geschäftsreise abfahren musste. Die Kas-
        siererin gab ihm die Klingen und ließ ihn das nächste Mal bezahlen.
        Sie können nicht »anweisen«, dass jeder Kunde, der sein Geld ver-
        gessen  hat,  beim  nächsten  Mal  bezahlen  kann.  Die  Frage  ist:  Wie
        bringt  man  es  fertig,  dass  jede  Kassiererin  so  souverän  mitdenkt?
        Beim nächsten Kunden sagt sie vielleicht: »Da müssen sie leider wie-
        derkommen.« So etwas wächst mit der Zeit und da sind wir unseren
        Mitbewerbern ein Stück voraus.

        IB Mit dem Predigen des bedingungslosen Grundeinkommens sind Sie
        nicht nur Ihren Mitbewerbern ein Stück voraus. Wie sind Sie darauf
        gekommen?
        Nachdem  ich  zahllose  Einstellungsgespräche  geführt  habe.  Ab  ei-
        nem gewissen Punkt verlaufen sie alle gleich: Der Personalchef er-                                             © Detlef Göckeritz
        fragt den bisherigen Verdienst, um nicht zu viel anzubieten, doch ein
        Bewerber überlegt nicht etwa, »Wie viel kann ich verdienen?«, son-
        dern »Kann ich es mir leisten, hier einzusteigen?« So habe ich eines
        Tages erkannt: Das Einkommen ist nicht die Bezahlung, sondern die
        Ermöglichung der Arbeit. Das ist die Grundidee fürs Grundeinkom-
        men: Einkommen als Teilhabe, um teilnehmen zu können. Die Arbeit   Ein Gespräch mit
        selbst ist unbezahlbar.                                 Prof. Götz Werner,
                                                                   -Award of Excellence Träger &   -Ehrenmitglied
        Das ist eine kopernikanische Wende in unserem Denken, die es zu
        bewältigen gilt: Jeder Mensch braucht ein Einkommen, das so hoch
        sein muss, wie es im Grundgesetz steht: Er muss menschenwürdig   Das Interview führten
        leben können. Bringen wir das im nächsten Jahrzehnt nicht fertig,   Rahel Willhardt,
        fliegt uns die Gesellschaft um die Ohren.               freie Journalistin
                                                                &
                                                                Ingmar Behrens,
             ›Im Einzelhandel gibt es kein Oben und             Behrens und Behrens GmbH,
           Unten, sondern nur ein Hinten und Vorne.                -Pressesprecher
             Vorne ist oben, aber oben selten vorne!‹


                             Prof. Götz Werner


        Und  wenn  ein  Händler  das  Grundeinkommen  nicht  versteht,  dann
        stimmt was nicht (lacht). Wenn er will, dass der Kunde mit vollem
        Einkaufstaschen seinen Laden verlässt, muss er dafür sorgen, dass er
        mit vollem Geldbeutel betritt. Kommt der Kunde mit leerem Geld-
        beutel herein und geht mit voller Tüte heraus, dann hat er ein Prob-
        lem (lacht)! Und wenn ein Händler jemanden einstellt, ihm aber kein
        auskömmliches Gehalt zahlt, hat er auch nicht aufmerksam beobach-
        tet. Mit einem Aufstocker-Einkommen wird er keine Mitarbeiter fin-
        den, die sich richtig einbringen.

        RW  Gute  Unternehmer  sind  Träumer,  Visionäre  und  Revolutionäre,
        erklärten Sie der FAZ. Wie ist Ihnen das wider alle Sachzwänge ge-
        glückt?
        Das ist Fortune. Glück, den richtigen Zeitpunkt, die richtigen Men-
        schen,  die  richtigen  Entscheidungen  zu  treffen.  Und  es  spart  sehr
        viel Kraft und Zeit, wenn Sie sich zunächst immer klar machen, ob Ihr
        Gegenüber das Problem überhaupt lösen will. Wer will, der findet
        Wege,  wer  nicht  will,  der  findet  Gründe.  Das  sind  dann  die  Sach-
        zwänge.





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