Page 7 - German Council Magazin 04.2021
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GERMAN COUNCIL . KONSUM
Dass Geschäfte weiter existieren werden –
dafür dürfte auch ein Umbau der Städte
sorgen, den Experten für die kommenden
Jahren erwarten. »Waren unsere Innen-
städte bis zuletzt häufig von Einzelhan- © Penta Springs LLP / Alamy Stock Foto
dels- und Büronutzungen dominiert, tags-
über belebt und nachts verlassen, so ist
dieses städtebauliche und immobilien-
wirtschaftliche Leitmotiv in den vergange-
nen Jahren zunehmend unter Druck gera-
ten«, sagt Henrike Waldburg, Leiterin
Investment Management Global bei Uni-
on Investment Real Estate, dem Immobi-
lienfondsanbieter der Volks- und Raiffei-
senbanken. »Immobilienwirtschaft und
Kommunen sind gleichermaßen gefragt,
Strategien zu entwickeln, Strukturen und
Nutzungskonzepte zu etablieren, die
auch künftig flexibel auf Veränderungen
des Marktes reagieren können.«
Damit dürfte sich wiederholen, was in
der Vergangenheit immer wieder nach
großen Seuchen geschehen ist. »Pande-
mien haben durch die Geschichte hinweg
immer dazu geführt, dass sich Städte Bau der Kanalisation in Paris (Dezember 1893)
wandeln«, sagt Thomas Beyerle, Chef-
Researcher der Immobilienberatungsge-
sellschaft Catella. »Neue hygienische Er- jenen Quartieren auftreten, in denen Men- Nachttöpfe, in denen Menschen Urin und
kenntnisse und durch Seuchen veränder- schen besonders eng zusammenleben. Exkremente sammeln und durch ein offe-
te Lebensgewohnheiten haben das Ant- nes Fenster in die Gassen kippen.
litz der Zentren verändert.« Haussmann lässt neue Quartiere mit wei-
ter auseinander stehenden Mietkasernen Kanalisation und Konsum
Paris: grosse Boulevards statt vor der Stadt errichten. Dann werden die
enger Gassen mittelalterlichen, eng aneinander kleben- Es ist die entscheidende Waffe im Kampf
den Häuser im Pariser Zentrum nachein- gegen die Seuche. Die britischen Ärzte Ar-
Besonders radikal ist dieser Wandel im ander dem Erdboden gleichgemacht. thur Hill Hassall und John Snow isolieren
vorvergangenen Jahrhundert in Paris aus- Zehntausende Arbeiter sind damit be- beim Cholera-Ausbruch von 1855 in Lon-
gefallen. In Frankreichs Hauptstadt wütet schäftigt, die Gebäude entlang enger Gas- don den Erreger. Sie finden Vibrio chole-
von 1831 an die Cholera. Zehntausende sen wie der damaligen Rue des Marmou- rae in Stuhlproben von Erkrankten – und
fallen der durch das Bakterium Vibrio sets oder der Rue de Jardinet niederzurei- in der Themse, in die zugleich die Abwäs-
cholerae verursachten Magen-Darm-Ent- ßen. An ihrer statt entstehen breite Boule- ser fließen und aus der über Pumpenanla-
zündung zum Opfer. Blutige Diarrhö und vards gesäumt von neuen Wohn- und gen das Trinkwasser geholt wird. Lon-
massiver Vomitus entziehen dem Körper Geschäftshäusern im neuen Stil des dons Stadtregierung beschließt daraufhin,
so viel Flüssigkeit, dass die Erkrankten de- Klassizismus. Eine der Prachtstraßen trägt unter Großbritanniens Hauptstadt eben-
hydrieren und sterben – manchmal bin- den Namen des Neugestalters: der Boule- falls eine Kanalisation zu schaffen – nach
nen 24 Stunden nach der Infektion. vard Haussmann, der sich über 2.530 Pariser Vorbild. In den kommenden Deka-
Meter hinweg durch das 8. und 9. Arron- den wird jede größere Stadt in Europa
Um künftige Seuchenausbrüche zu ver- dissement zieht. dem Beispiel folgen.
hindern, wird der erfahrene Verwal-
tungsexperte Georges-Eugène Hauss- Auch unter der Erde wird gearbeitet. Der Bau der Kanalisation ist die größte In-
mann 1853 von Frankreichs Kaiser Na- Haussmann lässt eine Kanalisation bauen: vestition der öffentlichen Hand im 19.
poléon III. zum Präfekten von Paris er- ein mehr als 600 Kilometer langes Netz Jahrhundert. In der Dimension übertref-
nannt. Zwar ist der Erreger zu diesem aus Schächten und Rohren mit getrennten fen die Ausgaben, gemessen an Kaufkraft
Zeitpunkt noch nicht bekannt. Auffällig Systemen für Trink- und Abwasser. Damit und Steueraufkommen, die 1.000 Milliar-
ist jedoch, dass Cholera-Fälle vor allem in endet die Jahrhunderte alte Ära der den Euro des European Green Deal, die
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