GCM 5/2017
GERMAN COUNCIL . Standpunkte
Warum muss Führung neu gedacht werden und
wie muss sie gedacht werden? Führung muss
neu gedacht werden, da wir in einer disruptiven
Welt leben, die die Wirtschaft erschüttert. Dis
ruption ist ein Prozess, bei dem ein bestehendes
Geschäftsmodell oder ein gesamter Markt durch
eine stark wachsende Innovation abgelöst bezie
hungsweise »zerschlagen« wird.
Gründe, die einen Wandel einfordern, nach Ver
änderung rufen und neues Denken erfordern, lie
gen in der starken Vernetzung der Systeme. Alle
sind voneinander abhängig. Die Wirtschaft ist so
komplex geworden, dass wir nicht wissen, wo
sich Dinge auswirken, wie die Wirkung des ein
zelnen Handelns, aber auch dieWirkung der Digi
talisierung ist. Monokultur, wie Altherrenkreise in
Vorstand oder Aufsichtsrat von Gesellschaften, ist
nicht mehr sensibel für notwendige Neuerungen.
Sich aufs Kerngeschäft zu reduzieren, kann dazu
führen, dass übersehen wird, dass Produkte obso
let werden. Monolithische Strukturen erzeugen
Angst, etwas zu thematisieren, und lassen kriti
sche Dinge, die Weiterentwicklung bedingen,
nicht zu. Katastrophen führen zu plötzlichem
Richtungswechsel. Jährliche Worst-Case-Szenari
en reichen nicht mehr aus. Unternehmen sind in
eine Politik eingebettet, die unberechenbar ge
worden ist. Neue Geschäftsmodelle werden als
Bedrohung empfunden, weil sich nicht absehen
lässt, ob sie auf Dauer erfolgreich sein werden,
eine Reaktion darauf aber sofort erfolgen muss.
Was also muss Führungskräfte in der veränder
ten Welt legitimieren? Das ist zunächst einmal
ein Wissen, das ständig aktualisiert werden
muss. Life-long-learning ist Pflicht, da die Halb
wertzeit von Wissen rasant abgenommen hat.
Aber Wissen allein ist outdated. Hinzukommen
muss, dass Führungskräfte Werte vorleben und
Vorbild sind, dem andere folgen wollen.
Und welche Überlebensstrategie gibt es für Un
ternehmen? Voraussetzung für die Zukunftsfä
higkeit eines Unternehmens ist das Hinterfragen
der Führungskultur, das Wachbleiben auch bei
Erfolg, die Investition in Mitarbeiter. Das Potenzi
al liegt nicht nur imWissen der einzelnen Mitar
beiter, sondern im Zusammenbringen des Wis
sens. Zusammenarbeit und Interaktion sind ge
fragt. Führung muss dialogisch sein und die Mit
arbeiter einbeziehen; ein Ideenmanagement
muss betrieben werden.
Unternehmen dürfen nicht die Augen davor ver
schließen, dass die Mitarbeiter in Zeiten der
Vollbeschäftigung in eine Machtposition ge
langt sind. Da sie keine Angst vor Jobverlust ha
ben, können sie die Arbeitsbedingungen defi
nieren. Die Demokratisierung des Arbeitslebens
wird gefordert; der Einfluss des Individuums
nimmt zu. Darüber hinaus sind die einzelnen Le
bensphasen des Mitarbeiters diversifizierter ge
worden. Dies muss ein Unternehmen erkennen,
um mit den Mitarbeitern und deren ständig
wechselnden Bedürfnissen verbunden zu blei
ben. Aber wie bleiben sie verbunden?
Einerseits müssen Mitarbeiter Umsetzer sowie
Gestalter sein dürfen. Ideen einbringen zu kön
nen, muss auch jungen Leuten erlaubt sein. An
dererseits müssen Organisationen / Unterneh
men Steuerer wie auch Selbstorganisierer sein
dürfen. Erst durch eine Kombination der vier At
tribute kann ein gutes Team entstehen.
Für die Verbindung zwischen Individuum und
Organisation bedarf es der Führung. Um ein
agiles Netzwerk im Unternehmen zu erzeugen,
ist nicht zwingend ein demokratisches Element
erforderlich, wohl aber Partizipation. Agilität be
deutet eine flache Hierarchie, die Führung als
Dienstleistung auf Augenhöhe betrachtet. Die
Haltung zu agiler Führung muss vom Unterneh
men gefördert werden. Ziel ist es, alle Mitarbei
ter einzubinden und die Potenziale aller zu nut
zen. Dazu gehört es, Situationen zu schaffen, in
denen kritische Aussagen möglich werden.
Dazu gehört vor allem, Mitarbeitern die Angst
zu nehmen, sich zu äußern. Dies geschieht zu al
lererst, indem Partizipation ernst genommen
wird. Auf diese Art und Weise kann sich die Per
sönlichkeit des Einzelnen weiterentwickeln, was
wiederum dem Unternehmen zugutekommt.
Es entspricht der Realität, dass Führung Störun
gen erfährt. Wichtig ist, wie damit umgegangen
wird. Führung braucht Störungen, die nicht ent
zweien, sondern die als kreative Unruhe emp
funden werden, um sich ständig neu zu organi
sieren, um wiederum neuen Entwicklungen
Rechnung tragen zu können. Dazu gehört es,
Vielfalt zuzulassen, nicht demokratisch zu disku
tieren, sondern agil, das heißt dem Anderen und
seiner Meinung Respekt entgegenzubringen,
damit alle gemeinsam dem Unternehmensziel
dienen. Dafür ist es unabdingbar und liegt in der
Verantwortung jedes Einzelnen, dass er für sich
die Frage beantwortet, wie er das Unterneh
mensziel gemeinsam mit den anderen Mitarbei
tern umsetzen will.
Neues Denken, das in einem neuen Führungsstil
zum Ausdruck kommt, widerspricht zwar einem
zur Gewohnheit gewordenen alten Führungsstil.
Durch das Neue Denken entstehen jedoch nicht
neue Wertvorstellungen. Es findet vielmehr eine
Rückbesinnung auf traditionelle Werte statt, die
der alte Führungsstil nicht mehr widerspiegelt.
Den Anderen wahrzunehmen, ihm zuzuhören,
die Meinung des Anderen zu respektieren und
ihn verstehen zu wollen, rückt traditionelle Wer
te wieder in den Fokus. Die Einhaltung dieser
Werte, welche die Basis jahrhundertealter Um
gangsregeln bilden, dient dazu, ein gemeinsa
mes Unternehmensziel zu erreichen, indem Ver
bundenheit statt Trennung geschaffen wird. Es
entspricht der Eigenart von Werten, dass sie
wertbeständig sind, so dass sich Tradition und
Neues Denken in gelebten Werten vereinigen.
Ein Gastbeitrag von
Dr. Ursula Grooterhorst,
Eversheds Sutherland
(Germany) LLP,
Düsseldorf
Werte zwischen Tradition
und neuem Denken
Traditionelle Werte im neuen Führungsstil? Die Diskussion über das »Neue Denken«, das Werte
in den Mittelpunkt rückt, veranlasst auch zur Revision von Führung in Unternehmen. Das wirft die
Frage auf, ob damit neue Werte entstehen und ob die traditionellen Werte ausgedient haben
Aus der Branche für die Branche:
Dr. Ursula Grooterhorst