German Council Magazin 04.2018 - page 39

GCM 4/2018

GERMAN COUNCIL . INTERVIEWS
Wladimir Kaminer
© Michael Ihle
Sie dachte immer, dass bei diesen Schlager-
sendungen im Fernsehen alles gespielt ist –
wie in einem Theaterstück. Nun sah sie, dass
sich die Menschen freiwillig so verhielten. In-
zwischen kann meine Frau auch bei den Lie-
dern mitsingen.
Welche Kreuzfahrtpassagiere feiern am längs-
ten?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die
Deutschen sehr trinkfest sind. Vor allem
Schwaben und Sachsen sind beim Feiern abso-
lute Vorreiter. Das sind sehr empathische Men-
schen, die die Puppen tanzen lassen können
und später ins Bett gehen als alle anderen.
Was fiel Ihnen sonst noch am Verhalten der
deutschen Kreuzfahrer auf? 
Sie suchen immer den besten Platz an der
Sonne, und dafür sind sie sich nicht zu scha-
de, schon um 6.00 Uhr aufzustehen. Dann be-
setzen sie ihre Sonnenliege mit einem Tuch.
Später liegen sie dort und sonnen sich, bis sie
fast brennen. Dabei tragen sie immer wieder
neue Sonnencreme auf, die aussieht wie
schmelzende Eiscremestückchen. Was ich
sehr schön finde: Beim Liegen und Sonnen le-
sen die Deutschen sehr viel. Während die
Russen dauernd Tischtennis spielen, die Ame-
rikaner laut sind und die Araber im Whirlpool
abhängen, lesen die Deutschen. Vor allem
Wie meinen Sie das?
Auf Kreuzfahrtschiffen treffen Menschen aus
der ganzen Welt aufeinander, Touristen und
Mitarbeiter, Arme und Reiche, Normale und
Verrückte. An Bord gibt es Luxus und Ausbeu-
tung, Egoismus und Mitgefühl, Leichtsinn
und Wahnsinn. Das ist eine unübertreffliche
Mischung, die mir das Schreiben leicht ge-
macht hat. Herausgekommen ist das beste
Buch meines Lebens. Ja, ich glaube, es ist
nicht zu übertrumpfen.
Sie erzählen darin von vier Reisen nach Osteu-
ropa, in die Karibik, nach Miami und Griechen-
land. Welche hat Ihnen am besten gefallen?
Eigentlich waren alle toll, trotz gewisser Be-
einträchtigungen wie Dauerregen, Baustellen
oder Inselsperrungen. Es ist ja sowieso egal,
wohin man fährt. Eine Kreuzfahrt macht man
nicht, um von A nach B zu kommen. Dazu fällt
mir eine Anekdote ein: Ein alter russischer
Jude wanderte nach Israel aus, kehrte aber
bald wieder in die Sowjetunion zurück. Das
wiederholte sich noch mehrere Male, sodass
der Grenzpolizist meinte: Sie müssen sich mal
entscheiden, wo es Ihnen am besten gefällt!
Woraufhin der Alte meinte: Das weiß ich
doch: unterwegs!
»Die Kreuzfahrer« ist Ihr 25. Buch. Wie fühlt
es sich an, auf so viele Erfolge und Geschich-
ten zurückzublicken?
Meine Bücher sind wie die Geschichte meines
Lebens, die immer weitergeschrieben wird. Das
ist wie ein fließender Übergang, denn alle Bü-
cher gehen ineinander über. Aufmerksame Le-
ser werden die Verbindungen erkennen. Da ich
auch viel über meine Kinder geschrieben habe,
etwa über ihr Erwachsenwerden, fallen mir die
Veränderungen nun besonders auf. Es ist wun-
derbar, auf all das zurückzublicken.
Das Gespräch führte
Günter Keil,
Wunderraum Verlag
Wladimir Kaminer
wurde 1967 in Moskau
geboren. Seit 1990 lebt er mit seiner Frau
und den inzwischen erwachsenen Kindern in
Berlin. Mit seiner Erzählsammlung »Russen-
disko« sowie zahlreichen weiteren Bestsel-
lern avancierte er zu einem der bekanntesten
Autoren Deutschlands.
/
Die-Kreuzfahrer/Wladimir-Kaminer/
Wunderraum/e534363.rhd#service
meine Bücher, die sie nach den Auftritten ge-
kauft hatten. Diese Beobachtung hat mich na-
türlich besonders gefreut. 
Woran denken Sie, wenn Sie an Deck stehen
und aufs Meer blicken? 
Ich habe komischerweise immer das Gefühl,
dass der Ozean ein bisschen wie Russland
aussieht.
Warum das?
Die Landschaft verändert sich nicht. Alles
sieht gleich aus. Man kann sechs Stunden die
Augen schließen, und wenn man sie wieder
öffnet, ist immer noch nichts anders. Es sieht
so aus, als würde die Landschaft mit dem
Schiff mitfahren. Das hat mich schon ein biss-
chen nostalgisch gestimmt.
Haben Sie sich auf Ihren Kreuzfahrten mehr
als typischer Russe oder als typischer Deut-
scher gefühlt? 
Keines von beiden. Ich fühlte mich als Welt-
bürger, also als jemand, der ich schon immer
sein wollte. Tatsächlich hatte ich auf dem
Meer das Gefühl, ganz heimisch zu sein mit
der Erde und den Menschen. Das hätte ich
vorher nicht gedacht. Aber mitten im Massen-
tourismus, auf diesen riesigen Schiffen mit
3.000-5.000 Passagieren, bin ich dem Welt-
geist begegnet.
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