German Council Magazin 04.2018 - page 38


GCM 4/2018
GERMAN COUNCIL . INTERVIEWS
KREUZFAHRER AUS LEIDENSCHAFT
Mit Witz und Selbstironie erzählt der russische Schriftsteller Wladimir Kaminer in seinem jüngsten
Buch von den Erlebnissen auf den schwimmenden Städten, die in immer größerer Zahl unsere
Meere bevölkern. Ein Kreuzfahrtschiff ist eine ganz eigene Welt. Der Reisende betritt eine Oase
des Glücks mit Bar, Tanzabenden und dem reibungslosen Übergang von einer Mahlzeit in die
nächste. Und natürlich mit jeder Menge neuer Bekanntschaften. Aber auch an Land gibt es viel zu
entdecken: von Putin-Schokolade in St. Petersburg über falsche Götter auf der Akropolis bis zu
verrückten karibischen Taxifahrern
Wie viele Kreuzfahrten haben Sie schon ge-
macht?
Fünf. Und das ist gar nichts. Ich habe auf den
Schiffen Menschen getroffen, die schon fünfzig
oder siebzig Kreuzfahrten hinter sich hatten.
Manche sind fast pausenlos als Kreuzfahrer un-
terwegs, monatelang, und sie lieben das.
Teilen Sie diese Begeisterung?
Absolut. Es ist ja in gewisser Weise logisch,
dass die Menschen gar nicht mehr von Bord
wollen. Auf dem Schiff gibt es alles, was sie
brauchen, und die Stimmung ist toll. An Land
dagegen sieht es doch überall gleich aus, so-
gar die Paradiese, die Strände, die Palmen,
war sensationell! Unser Schiff kam mir vor
wie eine Arche Noah, die gar keine Lust mehr
hatte, irgendwo ein anständiges Land zu fin-
den, sondern einfach immer weiterfuhr und
weiterfeierte.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass vor allem
das Schlagerprogramm an Bord gut ankam. 
Und wie! Ich habe viele neue Lieder kennen-
gelernt. Man hatte eine Almhütte aufgebaut,
in der ständig Schlager gespielt wurden,
meist bayerische Folklore. Die Leute kannten
alle Texte auswendig, grölten mit, standen
auf den Tischen, schunkelten, tranken und
lachten. Meine Frau konnte es nicht fassen.
die Souvenirläden, das alles haben wir schon
so oft gesehen. Und ganz grundsätzlich gilt:
Je kaputter das Festland, desto attraktiver ist
das Leben auf dem Ozean.
Geht es bei einer Kreuzfahrt also auch darum,
vor der Realität zu flüchten?
Ein bisschen schon. Das habe ich gleich auf
meiner ersten Kreuzfahrt gespürt. Damals
war gerade Donald Trump zum Präsidenten
gewählt worden, das Wetter war schlecht,
und alle Passagiere meckerten. Tagsüber
herrschte Weltuntergangsstimmung, aber ab
dem Abend haben alle atemlos durch die
Nacht gefeiert. Die ausgelassene Partylaune
Ein Auszug aus »Die Kreuzfahrer«
von Wladimir Kaminer
Dieses Mal hatten wir auf Teneriffa Glück mit dem
Wetter. Jeden Tag schien die Sonne, und gleich
nach dem Frühstück saßen wir am Ufer und beob-
achteten, wie schnell die Finnen rot wurden. Auch
Engländer wurden schnell rot, doch bei ihnen
stach es nicht so ins Auge, weil sie in der Regel viele
Tattoos hatten. Manche hatten sich die Symbole ih-
rer Heimat eintätowieren lassen und trugen die
britische Flagge und die Königin auf ihrer Schulter.
Andere hatten lange Texte auf dem Rücken, damit
ihre Frauen und Kinder unterwegs immer etwas zu
lesen hatten. Urlaub auf Teneriffa bietet eine be-
sondere Art der Langeweile. Die Tage vergehen
hier wie im Flug, Frühstück, Kaffee und Abendes-
sen werden zu den wichtigsten Erlebnissen des Ta-
ges, und täglich grüßt der Hoteldirektor im roten
Anzug bei seinem morgendlichen Spaziergang
durch die Anlage. Die meisten Restaurants in unse-
rem Ort trugen pathetische Namen, die auf eine
imperiale Vergangenheit deuteten, und lockten mit
ausgefallenen Spezialitäten. Das British Empire bot
»heißes schottisches Ei in indischer Curry-Hülle«
die anderen, um etwas zu verdienen oder um zu
überleben. Abends saßen sie vor den Lokalen in der
untergehenden Sonne und gaben zusammen im
Chor einen kollektiven Frank Sinatra ab: »I did it
my waaa-y!«, schmetterten sie, alle kannten den
Text. Jeden Samstag kamen neue Musiker und neue
Touristen, nur das Meer und die Wellen blieben die
gleichen wie vor hundert Jahren.
an, das Imperial Tai-Pan kochte pan-asiatisch: japani-
sche Teigtaschen mit chinesischer Füllung und thailän-
dischen Soßen. Nur das deutscheWirtshaus hatte keine
imperialen Ansprüche und warb bescheiden mit einer
großen weißen Wurst aus Plastik, die vor der Tür im
Wind flatterte wie ein Segel ohne Schiff. ImBritish Em-
pire sprachen alle Mitarbeiter gut Russisch, sie kamen
aus Litauen. Meine Frau hatte lange in dieser ehemali-
gen sowjetischen Republik gelebt, und wir haben ein-
ander gut verstanden. Beim Italiener Das alte Rom ar-
beiteten Kubaner, und in dem asiatischen Restaurant
haben wir eine exotische Migrantengruppe – Mongo-
len – kennengelernt. Auch sie konnten noch Russisch.
Abends lockten die Lokale mit Livemusik. Die meisten
Sänger kamen von weit her, sangen aber nicht viel bes-
ser als die Touristen. Überhaupt war diese spanische
Insel ein erstaunlich klares Abbild unserer Realität: Alle
Menschen um uns herum waren geflüchtet – entweder
vor dem schlechten Wetter oder weil sie mit ihren Hei-
matländern grundsätzlich unzufrieden waren. Alle
suchten ihr Glück anderswo. Die einen fuhren weg, um
sich von den Strapazen des Festlandes zu erholen, und
©Wunderraum
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