Page 44 - German Council Magazin 03.2021
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GERMAN COUNCIL . INTERVIEW
Struktur statt einer linearen. Das gibt es in bei Dallmayr. Aber doch nicht mehr in auf eine solche Idee kommen! Genau so
vielen Ländern der Welt: Sammeltaxis, bei dem Maße, wie das früher üblich war. macht man es aber im Moment: Am
denen jeder zu jeder Zeit aus- und einstei- Wir stehen heute vor der gleichen Situati- Sonntag kannst du keine Schuhe im Ge-
gen kann. Es besteht eine Chance, dass on. Verändern sich Kundenbedürfnisse, schäft kaufen, dann bestellst du sie bitte
dies auch hierzulande kommt. Dann wird werden Dinge ausprobiert, einige werden bei Zalando.
auch öffentlicher Nahverkehr wahr- floppen und andere werden funktionie-
scheinlich viel stärker angenommen als ren. Am Ende des Tages sieht die Einzel- Wenn Sie auf die kommenden Jahre bli-
heute. Und es wird weniger Autos in der handelslandschaft anders aus. cken, was macht Ihnen Sorge? Was
Stadt geben – zumindest weniger Autos, fürchten Sie?
die individuell besessen werden und die Wie werden Geschäfte künftig ausse- Die Frage, wie sehr sich der Zustand un-
meiste Zeit irgendwo am Straßenrand ste- hen, was Gestaltung, Interieur und Ma- serer Umwelt noch weiter verschlechtert.
hen. Die Fläche, die dann gewonnen wird, terialien angeht? Das ist die größte Hürde, die wir haben.
weil weniger Parkplätze gebraucht wer- Die Geschäfte werden über das Ge-
den, könnte man dafür nutzen, die Stadt schäftsmodell bestimmt und nicht über Skeptiker argumentieren, dass etwa
lebenswerter zu machen. die Technik. Die Gestaltung des Verkaufs- über den Klimawandel nicht in Deutsch-
prozesses bestimmt die Gestaltung des land entschieden wird und dass bei-
An was für ein Zeitfenster denken Sie Ladens. Alles andere sind Arbeitsmittel. spielsweise CO -Einsparungen hierzu-
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bei dieser Entwicklung? Wird das in Auch im Bauen ist Nachhaltigkeit ein lande nichts nützen, weil andere Länder
zwanzig Jahren Realität sein? In zehn sehr aktuelles Thema, nicht nur von der viel mehr Emissionen in die Atmosphä-
Jahren? Haltung her. Es wird auch regulatorisch re einbringen.
Keine 20 Jahre. Maximal zehn. Die Ent- immer bedeutsamer. Man muss sich Das ist eine ganz seltsame Argumenta-
wicklung wird schneller gehen, als wir zwangsläufig damit auseinandersetzen. tion. Das klingt so, als würde ich sagen:
denken. Zunächst einmal geht es aber um die Fra- Irgendwo anders wird Müll weggeschmis-
gen, wie man seine Kunden erreicht, wel- sen, also kann ich meinen Müll hier auch
Sehen Sie international Städte, die sich che Erwartungshaltung die Kunden ha- wegschmeißen. Die gegenüber klauen
in eine solche Richtung verändern? ben und wie der Verkaufsprozess funktio- auch – also kann ich auch klauen? Das ist
In Paris kann man schon viel Verände- nieren soll. totaler Quatsch. Was Umweltschutz an-
rung sehen. Die Bürgermeisterin Anne geht, ist die Stoßrichtung für die Mehrheit
Hidalgo lässt Straßen für den Verkehr Muss man im Zuge dessen auch über unserer Parteien klar. Es wird eigentlich
schließen und für Fahrradfahrer und Ladenöffnungszeiten neu denken und nur darum gerungen, wie man den Weg
Fußgänger umwidmen. Ebenso in Wien. entscheiden? richtig organisiert. Und das ist auch keine
Dort wurde auf der Mariahilfer Straße Ladenöffnungszeiten sind ein sehr deut- leichte Aufgabe: Wo muss man etwas re-
der motorisierte Verkehr verlangsamt sches Konzept und müssen eigentlich gulieren und wo sollte man es besser nicht
und alle Verkehrsteilnehmer haben den nicht regulatorisch organisiert werden. tun, weil es sich privat viel schneller orga-
gleichen Raum (»Begegnungsstraße«). Ein Händler kann doch selbst entschei- nisiert? Vieles wird in Schwarz-Weiß dis-
Ich kann vor einen Laden fahren und et- den, ob er am Sonntag aufmachen will kutiert. Das hilft leider nicht.
was einladen. Aber ich bin nicht schnel- oder nicht. Wir diskutieren ein Recht
ler als ein Fußgänger. Hierzulande ha- auf Homeoffice – und nun muss man je- Ein Argument gegen mehr Umwelt- und
ben wir vieles gesehen etwa mit Blick manden dahingehend bevormunden, ob Klimaschutz beinhaltet einen dadurch
auf Pop-Up-Fahrradwege. Wir sehen im er am Sonntag arbeitet oder nicht. Für möglicherweise entstehenden wirt-
Übrigen, dass der Fahrradverkehr in der viele Berufsgruppen stellt sich die Frage schaftlichen Schaden.
Pandemie zugenommen hat. Viele ha- gar nicht. Welcher Polizist, Arzt oder Nichts zu tun, wäre wirtschaftlicher Scha-
ben erkannt, dass es eigentlich ganz nett Feuerwehrmann kann sich das denn den. Umwelt- und Klimaschutz verhin-
ist, mit dem Rad ins Büro zu fahren. Die aussuchen? Das brauchen wir nicht zu dert doch wirtschaftlichen Schaden! Wel-
Infrastruktur für Mobilität wird sich regeln. Das würden die Kunden und chen wirtschaftlichen Schaden haben wir
dem anpassen. entsprechend die Händler und Mitar- dadurch, dass sich die Automobilindus-
beiter schon selber tun. Wenn ich sonn- trie so lange nicht verändert hat? Die
Die relativ schnelle Veränderung der- tags einkaufen möchte und das im stati- Wettbewerbsfähigkeit, die die Automo-
zeit macht vielen Menschen Angst. onären Handel nicht kann, setze ich bilindustrie in Deutschland durch das
Ja, das ist auch nachvollziehbar. Aber es mich aufs Sofa und kaufe trotzdem. Bei Schlafen verloren hat, ist doch ein wirt-
ist doch so: Als die SB-Lebensmittelhänd- der Entscheidung, irgendwo hinzuge- schaftlicher Schaden! Das zu lange Fest-
ler aufkamen, wurden Lebensmittel über hen, um einzukaufen, werden Men- halten an der Kohle verursacht schon seit
die Ladentheke verkauft. Gibt es heute schen reglementiert. Das ist doch ab- Jahrzehnten Schaden. Jeder weiß, dass es
noch einen Laden, in dem Lebensmittel surd. Stellen Sie sich vor, am Sonntag viel besser gewesen wäre, frühzeitig in in-
über die Ladentheke verkauft werden? könnte man nicht in die Eisdiele gehen novative Lösungen, Industrien, Firmen,
In der Nische ja, bei Manufactum oder – es gäbe nur Eis to go. Niemand würde Arbeitsplätze und Bildung zu investieren.
42 Shopping Places* 3 / 2021