Page 41 - German Council Magazin 03.2021
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GERMAN COUNCIL . INTERVIEW




            stimmte Dinge nachzuholen. Davon wird
            wahrscheinlich auch der Handel profitie-                                                             © Umdasch
            ren. Das heißt aber nicht, dass die grund-
            sätzliche Veränderungspflicht damit auf-
            gehoben ist. Das Thema Nachhaltigkeit
            wird auch dazu führen, dass nicht nur an-
            ders konsumiert wird, sondern auch we-
            niger. Darauf ist der Handel, und der
            Schuhhandel im speziellen, überhaupt
            noch nicht eingestellt.

            Was wird Ihrer Meinung  nach  weniger
            konsumiert?
            Ich glaube, dass das Bewusstsein für
            nachhaltigen Konsum und nachhaltige
            Produkte insgesamt zunimmt. Das bedeu-
            tet, dass die Lieferketten wieder stärker in
            den Fokus rücken. Das wird dazu führen,
            dass man sich überlegen muss: Wenn
            mein Geschäft abhängig davon ist, dass
            ich eine bestimmte Masse verkaufe und es
            nur dann funktioniert, wenn ich diese
            Masse auch wirklich umsetze, wenn es   Das Manufaktum-Warenhaus in Wien, gestaltet von Umdasch und Schwitzke
            also meine Kompetenz ist, dass es viel für
            wenig Geld gibt, dann ist das nur für we-
            nige zukunftsfähig. Es führt zwangsläufig   der Börse bewertet wird, oder ein Unter-  keitsbildung und der Spezialisierung und
            zu einem Konzentrationsprozess im   nehmen wie Beyond Meat und wie sie alle   der damit verbunden Haltung ist extrem
            Markt. Das sehen wir im Lebensmitte-  heißen. Man sieht, dass es ein relevanter   wichtig. Ohne wird es nicht mehr gehen.
            leinzelhandel, der diese Prozesse schon   Markt ist, der eine beachtliche Größenord-
            durchlaufen hat.                  nung erreicht hat.                Ist das nicht trotzdem eher ein Thema
                                                                                für Freiburg oder Münster oder Düssel-
            Das Thema Nachhaltigkeit wird durch-  Das wird  auch  in der Schuhbranche   dorfs edle Stadtteile – und nicht für die
            aus  in  der  Schuhbranche  diskutiert.   kommen.  Was mache  ich  denn  als   Kölner Hohe Straße  oder die Düssel-
            Händler erleben, dass Kunden sich auf-  Schuhmarke oder als Einzelhändler,   dorfer Schadowstraße?
            grund der oft höheren Preise oft noch ge-  wenn ich dann nicht ein klares Bekennt-  Doch. Definitiv. Es wird dazu führen,
            gen nachhaltige Produkte entscheiden.   nis habe?                   dass sich unsere Innenstädte verändern.
            Viele können oder wollen sich das nicht   Ich kann doch auch kein Restaurant be-  Unser Bild von einer City, die entweder
            leisten. Und für Hersteller ist die Ferti-  treiben, in dem ich ein vegetarisches und   ganz exklusive Geschäfte beherbergt oder
            gung eines nachhaltigen Schuhs kompli-  ein veganes Gericht anbiete und ansonsten   den Massenmarkt abbildet, wird sich auf-
            ziert. Man sieht, dass das Thema kommt,   Steaks. So ist das derzeit noch in der   lösen.
            und man bereitet sich darauf vor, aber es   Schuhbranche: Es gibt die eine oder ande-
            dauert noch, bis es sich durchsetzt.  re Marke, die auch mal einen nachhalti-  Wie werden denn dann die Innenstädte
                                              gen Schuh hat, aber eigentlich will man   aussehen? Was wird aus einer Kö, aus
            Das hat die Automobilindustrie mit ih-  weiter seine Steaks verkaufen. Natürlich   einer Schadowstraße in Düsseldorf?
            ren Motoren auch gedacht. Was ist am   gibt es schon Leuchtturmprojekte mit Cr-  Sie müssen diversifizieren, in der Nutzung
            Schuh komplizierter als am Dieselmo-  adle-to-Cradle-Ansatz. Aber wie viele   und im Branchenmix. Es wäre wün-
            tor?                              Schuhe sind das im Gesamtumsatz? Das   schenswert, dass die Innenstadt wieder
            Es ist sicherlich derzeit noch ein exklusives   ist doch lächerlich. Wir müssten eigentlich   mehr Wohngebiet wird. Heute haben wir
            Thema, aber die Frage ist, wie viel Prozent   massiv in die Veränderung investieren.   mehrere Etagen Retail und oben steht das
            der Konsumenten mit einer bewussten                                 Haus leer oder beherbergt im besten Fall
            Entscheidung und bewusstem Verhalten es   Das ist dann aber möglicherweise das   ein Office oder eine Arztpraxis. Es wird
            geben muss, damit bestimmte Geschäftsty-  Ende der Filialisten mit 30, 40 Filialen...  hoffentlich zu einer stärkeren Durchmi-
            pen plötzlich gut funktionieren – oder gar   Es ist das Ende derer, die alles machen   schung von Wohnen, Arbeiten und natür-
            nicht mehr. Nehmen Sie die schwedische   wollen. Die sagen: Ich habe für jeden   lich weiterhin Handel und Gas tronomie
            Firma Oatly, die unter anderem Hafer-  Kunden was und ich will keinen aus-  kommen. Dann wird die Innenstadt auch
            milch herstellt und milliardenschwer an   schließen. Die Thematik der Persönlich-  quartierähnlicher.


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