Page 43 - German Council Magazin 03.2021
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GERMAN COUNCIL . INTERVIEW




            Pendlerströme verändern, hat das natür-  Wer gehört  Ihrer Meinung  nach  zu  so   Weg für einige Gemeinden sein. Ebenso
            lich Auswirkungen auf bestimmte gastro-  einem Team?                gibt es auch private Initiativen, die wie
            nomische Konzepte und auf den Handel.   Natürlich muss die Politik dabei sein, das   Genossenschaften funktionieren und die
            Aber das wird solche Innenstädte nicht   ist klar. Aber es sollten schon auch andere   Ansiedlung bestimmter Handelskonzepte
            killen. Es verändert sie einfach nur. Städ-  Interessengruppen mitwirken: Handel,   ermöglichen.
            te, in denen es Schrumpfungsprozesse   Kulturschaffende und andere Berufsgrup-
            gibt, stehen möglicherweise vor dramati-  pen, die in der Stadt tätig sind. Stadtent-  Welche Rolle  spielt in den  Städten in
            schen Veränderungen. Das hat aber gar   wicklung muss aus der Gesellschaft einer   der Zukunft denn die Mobilität? Werden
            nichts  mit  der  Pandemie  zu  tun.  In   Stadt kommen. Ein Bürger, der in Müns-  wir mit  dem Straßenverkehr anders
            Deutschland leben 45 Prozent der Bevöl-  ter lebt und dort tätig ist, hat eine andere   umgehen, wird es weniger Fußgänger-
            kerung in Städten, Tendenz nach wie vor   Vision davon, was Münster sein soll, als   zonen  geben  – und mehr Plätze zum
            steigend. Wir werden in jedem Fall mehr   irgendein Jurymitglied, das irgendwoher   Aufladen von Elektrofahrzeugen?
            Menschen in Städten haben als im ländli-  eingeflogen  wurde.  Stadt-   Die Priorisierung von Verkehr wird sich
            chen Raum oder in Kleinstädten. Insofern   entwicklung braucht eine Bürgerbeteili-  neu regeln. Wir werden es wahrscheinlich
            wird es dann auch Gemeinden geben, die   gung, und diese sollte einigermaßen re-  erleben, dass der Fußgänger mehr Bedeu-
            Dinge rückbauen müssen. Es wird eine   präsentativ sein.            tung erlangt. Es wird wieder mehr Wege
            gesellschaftspolitische Frage sein, ob man                          geben, die man zu Fuß erledigt.
            bereit ist, diese Gemeinde zu unterstützen   In einigen Städten gründen Kommunen   Darauf sind Städte derzeit kaum einge-
            und den Rückbau zu bezahlen. Das ist   Immobiliengesellschaften,  um  be-  stellt – vielleicht in den klassischen Fuß-
            schließlich eine Investition, die keine Ein-  stimmte Immobilien zu kaufen und ent-  gängerzonen, aber nicht in den Quartie-
            nahmen bringt. Aber irgendjemand wird   wickeln zu können. Das muss sich eine   ren. Auch die Fahrradmobilität wird eine
            sie tätigen müssen. Wenn eine Stadt eine   Kommune leisten können…  andere  Bedeutung  erhalten  und  idealer-
            Kläranlage betreibt, die auf 15.000 Ein-  Es gab eine Zeit, in der die Städte ihre Im-  weise auch der öffentliche Personennah-
            wohner angelegt war, und es wohnen dort   mobilien verkauft haben, was zum Teil   verkehr. Das ist allerdings noch am
            nur noch 10.000 Menschen, dann geht   eine echte Fehlentwicklung war. Das sieht   schwierigsten, weil wir noch sehr anti-
            diese Veränderung nicht ohne Investition.   man am Beispiel Berlin. Aber es gibt in-  quierte Verkehrsmittel haben. Wir organi-
                                              zwischen zahlreiche Städte mit Immobili-  sieren alles entlang einer Wegstrecke, und
            Was wird denn aus den vielen Centern,   engesellschaften. Ein Beispiel ist Mon-  das im Extremfall auch noch sternförmig.
            die wir in den zurückliegenden Jahren   heim oder auch München-Haar, wo man   Ich komme also nicht von Quartier A zu
            und Jahrzehnten gebaut haben?     vor allem denkmalgeschützte Immobilien   Quartier B, wenn dieses nicht auf der
            Die werden umgebaut. Und manche wer-  aufgekauft und saniert hat und wo man   Hauptachse liegt. Ich muss erst ins Zent-
            den abgerissen. Im Immobilienbereich ist   in den Bau von Schulen und Kindergärten   rum und dann wieder raus ins nächste
            es doch immer so: Es besteht die Chance,   investiert. So konnten über die Investitio-  Quartier. Der öffentliche Nahverkehr
            dass eine neue, bessere Immobilie eine   nen der Gemeinde bestimmte Entwick-  muss sich dem Individualverkehr annä-
            alte, schlechtere überflüssig macht. Das   lungen gesteuert werden. Das kann ein   hern und wir brauchen eine netzartige
            ist per se nicht negativ. Es ist nur traurig,
            wenn historische Gebäude verfallen. Wir
            haben  aber  in  allen  Städten  viel  Nach-
            kriegsarchitektur, die schnell und günstig                                                           ©  Nick Wolff
            hochgezogen werden musste und die ir-
            gendwann einfach ausgetauscht und ver-
            nichtet werden muss. Das ist ein normaler
            Prozess. Bedauerlich ist es nur, wenn et-
            was Neues kommt, das nicht besser ist,
            sondern schlechter.

            Wie organisiert man in den Kommunen
            diesen Veränderungsprozess?
            Am Wissen und am Know-how wird es
            nicht scheitern. Die Frage ist eher: Findet
            sich das Team in einer Gemeinde, das
            wirklich einen längerfristigen Plan entwi-
            ckelt und das auch unabhängig von Wahl-
            perioden eine gewisse Kontinuität in der
            Weiterentwicklung der Stadt beibehält?
            Ich glaube, das ist die Herausforderung.   Der Concept Store Selekteur in Düsseldorf wurde von Schwitzke gestaltet


                                                                                              Shopping Places* 3 / 2021 41
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