Page 16 - German Council Magazin 03.2021
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GERMAN COUNCIL . GLOKALISATION




         © B_Zocholl – pixabay.com          Entwicklung, die auch massiv zu Lasten   zeste Wochenarbeitszeit aufweist: Norwe-
                                            des Einzelhandels gehen würde, weil die
                                                                              gen.
                                            Kaufkraft des überwiegenden Teils der
                                                                              Im  Schnitt  sind  die  Beschäftigten  im
                                            Bevölkerung massiv schrumpfen würde.
                                                                              Land  der  Fjorde  zwar  fünf  Tage  in  der
                                            Den 1930 in Weickelsdorf im heutigen
                                            Sachsen-Anhalt geborenen und im Mai   Woche tätig, jedoch jeweils nur für fünf
                                                                              Stunden und 20 Minuten pro Tag. Trotz
                                            dieses Jahres in den USA verstorbenen   der kurzen 27-Stunden-Woche erzielen
                                            Anthropologen und Sozialwissenschaft-  sie die höchste Produktivität mit einer
                                            ler Frithjof Harold Bergmann haben die-  durchschnittlichen Leistung von umge-
                                            se Sorgen bereits in den späten 1970er   rechnet 32,5 Euro pro Arbeitsstunde, ein
                                            Jahren umgetrieben. 1981 gründete er in   Betrag, der beinahe doppelt so hoch wie
                                            der Automobilstadt Detroit das Center   in  Deutschland  ist.  »Unsere  Daten  zei-
                                            for New Work, das Forschungszentrum   gen, dass es einen eindeutigen Zusam-
                                            für Neue Arbeit, und beriet die US-Auto-  menhang zwischen einer kürzeren Wo-
                                            mobilindustrie, wie sie die beginnende   chenarbeitszeit und der Produktivität
                                            robotergestützte Fahrzeugproduktion so-  gibt«, sagt Adelle Kehoe, Chefresearche-
                                            zialverträglich einführen kann.   rin bei Expert Market Research. »Länder
                                                                              mit kürzeren Wochenarbeitszeiten sind
                                            Norwegen: kürzeste Arbeitszeit,    im Allgemeinen produktiver, während
                                            glücklichste Einwohner            Länder, in denen eine Kultur des Präsen-
                                                                              tismus und langer Arbeitszeiten herrscht,
                                            In den folgenden drei Jahrzehnten entwi-  tatsächlich weniger aus ihren Teams her-
          stuhls obsolet. Heute ersetzen Roboter   ckelte Bergmann das Konzept der heuti-  ausholen.«
          nicht nur zunehmend Arbeiter in Fabri-  gen New-Work-Bewegung: Durch eine
          ken. Leistungsstarke Computer, rasantes   gerechte Verteilung der weniger werden-
          Internet und mächtige Informationsver-  den Arbeit auf alle Erwerbsfähigen könn-  Ein Beitrag von
          arbeitungsprogramme machen auch im-  te die soziale Spaltung vermieden und die   Richard Haimann,
          mer mehr Bürojobs verzichtbar. Weltweit   Kaufkraft aller Bevölkerungsschichten   freier Journalist
          werden Millionen Arbeitsplätze in der   erhalten werden. Allerdings würden in
          Buchhaltung, bei Back-Office-Tätigkei-  diesem Fall die Menschen nur noch ein
          ten, in Kundenservice- und Callcentern in   Drittel ihrer bisherigen Arbeitszeit mit
          den kommenden Jahren wegfallen.   Erwerbstätigkeit füllen. Ein weiteres
                                            Drittel sollte auf soziale Tätigkeiten –
          Von einem von den Arbeitnehmern nicht   von der Schüler-Nachhilfe über die Frei-
          zu  gewinnenden  »Race  against  the  ma-  zeitbetreuung von Senioren bis zum Na-
          chine« – vom »Wettlauf gegen die Ma-  tur- oder Tierschutz – entfallen. Das letz-
          schinen« – warnen in ihrem gleichnami-  te Drittel schließlich sollte genutzt wer-
          gen Buch der US-Wirtschaftswissen-  den,  um sich  in eigenen Interessen  und
          schaftler Erik Brynjolfsson und Andrew   Hobbys zu verwirklichen. So hätten die
          McAfee, Co-Direktor des Instituts für Di-  Menschen »die Freiheit, mit ihrer Zeit
          gitale Wirtschaft am Massachusetts Insti-  das zu tun, was sie wirklich wollen, um
          tute of Technologie. Profitieren würden   glücklich zu werden«, argumentierte
          davon vor allem jene, die die Maschinen   Bergmann.
          und Algorithmen besitzen, die diese Jobs
          übernehmen.                       Nicht nur die in Island in den vergange-
                                            nen Jahren gesammelten Erfahrungen
          Ohne eine Neuverteilung der Arbeit auf   scheinen ihm Recht zu geben. Das US-
          möglichst viele Schultern drohe in den   Marktforschungsinstitut Expert Market
          kommenden Dekaden eine massive Spal-  Research hat in einer Studie den Zusam-
          tung der Gesellschaft in einige wenige,   menhang zwischen geleisteter Arbeitszeit,
          die über den Großteil des Kapitals verfü-  Zufriedenheit der Beschäftigen und der
          gen und eine breite Masse an Verarmten,   Produktivität analysiert. Das Resultat:
          die nur noch von Sozialleistungen existie-  Am  glücklichsten  und  leistungsfähigsten
          ren – und sich daher politisch immer wei-  sind die Menschen in jenem Land, das von
          ter radikalisieren könnten. Es wäre eine   allen Industrienationen weltweit die kür-


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