Page 24 - German Council Magazin 02.2020
P. 24
GERMAN COUNCIL . INTERVIEW
»Der Dialog mit einem ge und Nicht-Solidarität mit den Nach-
barn – wie kann die Europäische Union
systemischen Rivalen ist Glaubwürdigkeit zurück erhalten?
Am Anfang dieser Krise reagierte die EU
wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen.
kein Deckchen-Sticken« Viele dachten nur an sich, ergriffen ein-
seitige Maßnahmen, zogen ohne Abspra-
chen Grenzen hoch. Politisch und huma-
Reinhard Bütikofer, Europaabgeordneter, außenpolitischer Sprecher nitär waren wir da nicht auf der Höhe.
der Grünen/EFA-Fraktion und Vorsitzender der China-Delegation im Aber ab April gab es solidarischere Töne.
Europäischen Parlament über die Herausforderungen der deutschen Erinnern Sie sich, wie Baden-Württem-
berg, das Saarland, Nordrhein-Westfa-
Ratspräsidentschaft, den Zusammenhalt der Europäischen Union und len, Sachen und andere Regionen Schwer-
eine Neuausrichtung der europäischen China-Politik kranke aus anderen EU-Ländern aufnah-
men. Zuerst präsentierte die EU-Kom-
mission eine Investitionsinitiative von 37
Milliarden Euro, damit kleinere Betriebe
Herr Bütikofer, wir kennen China als skru- ren Zeiten wie diesen. Dass Frankreich und der Gesundheitssektor mit Krediten
pellose Wirtschaftsmacht, als autoritären und Deutschland Anfang März gegen- versorgt werden können. Danach folgte
Überwachungsstaat, als ignoranten Leug- über einigen Nachbarn solche Hilfe zu- ein 100-Milliarden-Euro-Programm, um
ner von Menschenrechten. In der Rolle als nächst verweigerten, war ein schwerer vor allem Unternehmen zu helfen, Mas-
Menschenfreund ist uns China bislang Fehler. China hat versucht das auszu- senentlassungen zu vermeiden. Und jetzt
noch fremd. Dennoch sind es (auch) die schlachten. Aber richtig gelungen ist das stehen wir vor dem Wiederaufbaufond,
Chinesen gewesen, die dort einsprangen, Peking nicht. Erst bei der europäischen den Präsident Macron mit Kanzlerin
wo Europa und Deutschland offensicht- Hilfe um Stillschweigen zu bitten, weil Merkel auf den Weg brachte, der mit sei-
lich zu Anfang der Corona-Krise versagt man das Gesicht nicht verlieren wolle, nem riesigen Volumen gerade den am
haben. Wie schwierig wird es angesichts und dann bei der eigenen Hilfe viel op- schwersten betroffenen Ländern Zu-
dieser Hilfe in der Not künftig sein, sich portunistisches Getöse zu machen und öf- schüsse bietet. Die eigensüchtigen Refle-
mit China über die Öffnung seiner Märkte fentliche Dankesbezeugungen einzukla- xe waren schlimm. Aber die Schritte zu
zu zanken? gen, das schaffte keine Sympathien. neuer Solidarität haben die EU gerettet.
Reinhard Bütikofer: Dass China Hilfe an-
geboten hat, ist im Zusammenhang damit Im vergangenen Sommer gab es erfreu- Die Corona-Krise wird uns noch lange
zu bewerten, dass die Europäische Union lich viele »Europäer«, die sich gegen Au- beschäftigen und enorme wirtschaftli-
ihrerseits zuvor China Hilfe gewährt hat- tokratie und für ein gemeinsames Euro- che Auswirkungen haben. Wären Euro-
te. Es sollte selbstverständlich sein, dass pa entschieden haben. Angesichts der bonds das richtige Signal an die Welt,
Länder sich gegenseitig helfen in schwe- jüngsten nationalstaatlichen Alleingän- dass Europa zusammensteht und als ei-
gene Wirtschaftsmacht ernst zu neh-
men ist – oder ist ein Wiederaufbau-
fonds, der sich aus nicht rückzahlbaren
© European Union 2019 – EP / Emilie Gomez setzt, der probate Weg, um Einstimmig-
Zuwendungen und Krediten zusammen-
keit der EU-Mitgliedstaaten zu errei-
chen?
Eine Rückkehr zur Debatte der letzten
Jahre um Eurobonds bringt in der aktu-
ellen Situation nicht voran. Bei diesem
Thema sind die Gegenpositionen zu
rechthaberisch verfestigt. Und tatsäch-
lich finden wir ja bei dem neuen Instru-
ment des Wiederaufbaufonds mehr als
genug strittige Probleme, die einer Lö-
sung harren, wenn das ganze funktionie-
ren soll. Also konzentrieren wir uns dar-
auf. Das wird alles andere als leicht, weil
jeder argwöhnisch darauf achtet, bei der
Verteilung der finanziellen Mittel auch
22 GCM 2 / 2020