GCM 2/2018
GERMAN COUNCIL . ANERKENNUNG
Er ist studierter Jurist, Raufbold und Söldner di
verser Feldherren. Er vertieft sich in die Naturwis
senschaften und die Mathematik – und wird zum
Begründer der modernen Philosophie: »Cogito
ergo sum« – Ich denke, also bin ich. Mit diesem
1637 formulierten Dictum erhebt René Descartes
die Anerkennung des eigenen Bewusstseins zur
Grundlage menschlicher Existenz. Damit schafft
der französische Abenteurer und Gelehrte, der
im 30-jährigen Krieg mal für die protestanti
schen Niederlande, mal für den katholischen
Kurfürsten Maximilian I. von Bayern in Schlach
ten zieht, die Grundlage unseres modernen Mo
ral- und Wertesystems: Der Mensch, der sich
selbst anerkennt, ist auch verantwortlich für all
seine Taten und Unterlassungen.
Es ist ein radikaler Gedanke von solcher Wucht,
dass sogar Königsthrone einstürzen. Herrscher
in Purpurrobe werden nicht mehr als von Gott in
ihren Ämtern eingesetzt gesehen, sondern als
Menschen, die für ihre Verfehlungen zur Re
chenschaft gezogen werden können. Als sich
1789 Frankreichs Bürger gegen den Monarchen
Ludwig XVI. erheben, berufen sie sich auch auf
Descartes‘ Idee. Die Verehrung der französi
schen Revolutionäre für den großen Denker gip
felt in der Umbenennung seiner Geburtsstadt:
1802 wird die Kleinstadt »La Haye en Touraine«
im Loiretal, wo der Philosoph 1596 das Licht der
Welt erblickte, in »Descartes« umbenannt – ein
Name, den der 3.600 Einwohner zählende Ort
noch heute trägt.
Die Mächtigen der Zeit versuchen erfolglos, die
Gedanken des Philosophen vom Volk fernzuhal
ten. 1663 werden seine Schriften vom Heiligen
Stuhl auf den »Index Librorum Prohibitorum«
Eine Person, die etwas gibt, hat ein Anrecht auf
angemessene Gegenleistung.
Kant setzt dem Verbot in der Goldenen Regel
das Gebot der Vernunft entgegen: Nicht um
Strafen zu entgehen, sondern aus der Ratio der
Moral heraus soll der Mensch sein Verhalten
steuern: »Der Wille ist ein Vermögen, nur dasje
nige zu wählen, was die Vernunft unabhängig
von der Neigung als gut anerkennt«, befindet
der Philosoph. Grundsätze für das menschliche
Zusammenleben könnten auch ohne Drohun
gen allgemein akzeptiert werden, wenn sie
denn »objektiv« seien – also »für den Willen je
des vernünftigen Wesens als gültig anerkannt
werden«, schlussfolgert Kant.
Das ethische Dilemma des
kategorischen Imperativs
Es sind Gedanken, die bis heute nachhallen –
wenn sie auch von nachfolgenden Philosophen
verfeinert werden müssen. In seinem Studier
stübchen im malerischen Königsberg nahe des
Ostseestrands lebt Kant, dort 1724 geboren und
»ICH DENKE, ALSO BIN ICH …
AUCH VERANTWORTLICH«
Die Anerkennung des Selbst ist der Beginn des modernen Moral- und Wertesystems.
Geschaffen haben es in jahrhundertelanger Arbeit die großen Philosophen.
Ein Streifzug durch die Ideen von Descartes und Rousseau, von Kant bis Adorno
gesetzt – auf das Verzeichnis der verbotenen Bü
cher. Doch in Kreisen der Gelehrten werden De
scartes´ Werke weiter gelesen und diskutiert.
Jean-Jacques Rousseau, der Genfer Naturfor
scher und große Philosoph der Aufklärung, for
muliert daraus 1754 seinen berühmten Zweiten
Diskurs: »Sorge für Dein Wohl mit dem geringst
möglichen Schaden für die anderen.« Die für die
Erhaltung der eigenen Existenz nötige Selbstlie
be – die armour de soi – dürfe nicht in die Be
dürfnisse anderer Menschen negierende Selbst
sucht – die amour propre – umschlagen. Wer
sich selbst und seine Bedürfnisse anerkennt,
müsse auch die Bedürfnisse seiner Mitmen
schen anerkennen.
Noch schärfer formuliert es rund 30 Jahre später
im fernen preußischen Königsberg Immanuel
Kant: »Handle nur nach derjenigen Maxime,
durch die Du zugleich wollen kannst, dass sie
ein allgemeines Gesetz werde«, schreibt der
deutsche Philosoph der Aufklärung in seinem
1785 erscheinenden Werk »Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten«. Der Gedanke wird als
»Kategorischer Imperativ« zur grundlegenden
Basis der Diskussion um die Ethik.
Es ist die Abkehr von der »Goldenen Regel« –
dem bis dahin verbreiteten Grundsatz der prak
tischen Ethik: »Was Du nicht willst, dass man Dir
tut, dass füg´ auch keinem anderen zu.« Ver
gleichbare Merksprüche durchziehen seit dem
7. Jahrhundert vor Christi religiöse und philoso
phische Texte aus Altägypten, Griechenland, In
dien, Persien und Rom. Sie alle basieren auf der
Idee des Verbots von als übel empfundenen Ta
ten. Häufig bekräftigt mit der Androhung von
Strafen wie im Exodus, dem zweiten Buch des
Alten Testaments, wo es heißt: »...so sollst du
geben Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für
Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für
Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strie
me«. Im Römischen Imperium findet sich das
Prinzip im »quid pro quo« – im »Dies für das«.
In der heutigen Rechtsprechung ist daraus das
neutrale »ökonomische Prinzip« geworden:
Jean-Jacques Rousseau, Pastell von Maurice Quentin de La
Tour (1753)
© commons.wikimedia.org
›Sorge für Dein Wohl mit
dem geringstmöglichen
Schaden für die anderen.‹
Jean-Jaques Rousseau