German Council Magazin 05.2018 - page 80

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GCM 5/2018
GERMAN COUNCIL . ACADEMY
ES MANGELT AN SENSIBILITÄT FÜR
HISTORISCH GEWACHSENES
Mit diesem Beitrag kommt unser Beiratsmitglied Dr. Johannes Grooterhorst gerne der
Aufforderung des Vorstands nach, einige über das Tagesgeschäft hinausgehende Überlegungen
zu einem Thema anzustellen, das die Immobilienbranche im Kern betrifft, nämlich die gegen-
seitige Abhängigkeit von Architektur und Identität unseres Landes
Ausgangspunkt für meine Überlegungen sind:
Eine Reise nach Florenz, das diesjährige Geden-
ken an den Beginn des 30jährigen Krieges 1618
(400 Jahre), die Hochzeit bei den Royals in Eng-
land, die Eröffnung der wiederaufgebauten Alt-
stadt in Frankfurt am Main, das bevorstehende
Bauhausjubiläum 2019 (das Bauhaus und die
Meisterhäuser von Gropius, Mies van der Rohe,
Feininger, Kandinsky etc.), eine Mitteilung der
Bundesstiftung Baukultur in Deutschland, wo-
nach bei ihrer Arbeit erstmals auch das themati-
siert werden soll, was man eigentlich für die
wichtigste Aufgabe der Stiftung halten würde:
die architektonische Qualität dessen, was in
Deutschland gebaut wird.
Zieht man eine Parallele zwischen Deutschland
und Italien (Reise nach Florenz) so kann man
feststellen: Italien lebt in 3000 Jahren durchgän-
giger kultureller Identität. Jedenfalls hat Italien
nach dem Niedergang des römischen Reichs ab
essant sein könnte. Natürlich aber reicht das
nicht aus. Keine Kultur auf unserem Planeten ist
umfassender als die deutsche. Kein Land hat
mehr zur Geschichte der Ideen und der mensch-
lichen Schöpferkraft beigetragen. Kein Land ist
tiefer in den Abgrund gestürzt. Und kein Land
hat eine bemerkenswertere Vergebung erlangt
und Erneuerung erlebt. All dies macht die Ge-
schichte Deutschlands
so faszinierend und ver-
leiht ihr eine tiefgrei-
fende und universelle
Bedeutung. Und eben
darum habe ich – lange
nach der mit der Be-
herrschung der langen
Komposita verbrachten
Schulzeit – nicht aufge-
hört, das Land, seine Ei-
genarten, seine Literatur, seine Musik zu lie-
ben.«
Nach diesem historisch-politischen Prolog
möchte ich die Frage aufwerfen, welche Rolle
der Architektur im Hinblick auf die (nationale)
Identität zukommt.
Betrachten wir erneut Italien (oder auch Spani-
en, Frankreich oder Großbritannien), so stellen
wir fest, dass diese Länder sich in hohem Maße
über ihre landesprägenden Städte und nationa-
len Monumente identifizieren. Betrachtet man
etwa das fast vollständig erhaltene Florenz mit
seiner homogenen, aufeinander abgestimmten
Bebauung seit dem Mittelalter, insbesondere
aber in der Renaissance (die Medici waren hier
stilprägend), so stellt man fest, dass sich daraus
ein tiefes In-sich-Ruhen einer Nation ableitet. Aus
diesem Grunde spielt es keine Rolle, wenn in Ita-
lien die Regierungen im Jahrestakt wechseln, das
Land selbst und sein Selbstbewusstsein bleiben.
Schaut man auf Deutschland, so stellt sich dieses
ganz anders dar: Nach dem Zweiten Weltkrieg
dem Mittelalter eine enorme kulturelle Blüte
durchschritten, deren Höhepunkt sicherlich die
Renaissance darstellt.
Demgegenüber Deutschland: Der Historiker
und Politologe Arnulf Baring spricht von den
drei Katastrophen der deutschen Geschichte,
nämlich dem Fall der Staufer im 13. Jahrhundert,
dem Dreißigjährigen
Krieg und dem Zwei-
ten Weltkrieg.
Im hohen Mittelalter,
im 17. und im 20. Jahr-
hundert ist das deut-
sche Staatswesen drei-
mal mehr oder weniger
vollständig zusammen-
gebrochen. Der briti-
sche Historiker Christopher Clark stellt in seinem
Buch »Preußen« beispielsweise fest, dass sich
aufgrund des Dreißigjährigen Krieges in der
Mittelmark und in der Uckermark kein Brauch-
tum mehr entwickeln konnte, da die Bevölke-
rung fast vollständig vernichtet wurde.
Der britische Ex-Minister und Ex-Bankier Ste-
phen Green schreibt in seinem Buch »Dear Ger-
many – Liebeserklärung an ein Land mit Vergan-
genheit: »Wir alle wissen zu wenig über dieses
Land mit seiner außerordentlichen Kultur und
Geschichte. Man suche in einer Buchhandlung
die Abteilung ›Geschichte‹: Dort findet man
ganze Regale mit Werken über das ›Dritte Reich‹
und die Judenvernichtung, vielleicht noch ein
paar Titel über das Kaiserreich und Friedrich den
Großen. Und natürlich, aus gegebenem Anlass,
eine Flut von Büchern zum Ersten Weltkrieg.
Kaum jedoch wird man etwas über die weiter
zurückliegende Geschichte der deutschen Terri-
torien oder über das gegenwärtige Deutschland
und seine Rolle im neuen Europa finden. Es
scheint, als gäbe es außer den zwölf Jahren von
1933 bis 1945 nichts, was an Deutschland inter-
Dr. Johannes Grooterhorst
›Wir alle wissen zu wenig
über dieses Land mit seiner
außerordentlichen Kultur
und Geschichte.‹
Stephen Green,
britischer Ex-Minister und Ex-Bankier
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