Page 11 - German Council Magazin 03.2019
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GERMAN COUNCIL . TRANSFORMATION




         Was Eklöh vor dem Zweiten Weltkrieg in
         Deutschland implementiert, sind Konzepte
         aus den USA. Bereits 1915, vor 104 Jahren, ei-
         nem ganzen Centennium, öffnet dort Vincent
         Astor mit seinem »Astor Market« am New                                                                     © imageBROKER / Alamy Stock Foto
         Yorker Broadway den ersten Lebensmittel-
         Discounter der Geschichte. Er ist Spross der
         Astor-Familie, deren Gründer, der deutsche
         Auswanderer Johann Jakob Astor, im frühen
         19. Jahrhundert mit dem Pelzhandel ein Ver-
         mögen gemacht hat. 1.900 Quadratmeter
         misst die Verkaufsfläche, auf der sein Ururen-
         kel jetzt in Manhattan Fleisch, Mehl, Nudeln
         sowie Obst und Gemüse viel günstiger als die
         etablierten Lebensmittelhändler offeriert. Weil
         er Waren in großen Mengen abnimmt, kann er
         bei seinen Lieferanten hohe Rabatte raus-
         schlagen, die er an die Kunden weitergibt.

         Ein Jahr später, am 11. September 1916, öff-
         net der Entrepreneur Clarence  Saunders an
         der Jefferson Street in Memphis im US-Bun-
         desstaat Tennessee den ersten Selbstbedie-
         nungssupermarkt der Welt. Auf 105 Quadrat-
         metern können die Kunden im »Piggly Wig-
         gly« Waren direkt aus acht Regalen in ihre Ein-  Die ersten Lebensmittel-Selbstbedienungsläden wirken aus heutiger Sicht noch etwas unaufgeräumt
         kaufskörbe legen, schnell an der Kasse zah-
         len und ihren weiteren  Tagesgeschäften
         nachgehen. Den Namen »Piggly Wiggly« – zu
         deutsch »wackelndes Schweinchen« – wählt   den Vereinigten Staaten nach dem gleichen   beim Erstellen ihres Einkaufszettels sollten
         Saunders wegen dessen phonetisch ange-  Prinzip: Im vorderen Bereich des Ladens steht   die Kunden nichts vergessen: Was nicht auf
         nehmen Reims – und um Aufmerksamkeit zu   ein großer Tresen. Davor stellen sich die Kun-  dem Papier notiert ist, gibt es auch nicht.
         erregen. »Menschen fragen sich, was so ein   den an. Sind sie an der Reihe, reichen sie ihren
         ungewöhnlicher Name bedeuten mag – und   Einkaufszettel einem Angestellten. Der geht   Im »Piggly Wiggly« ist das anders: Die Kun-
         behalten ihn deshalb in Erinnerung«, erklärt er   dann in den hinteren Teil des Geschäfts und   den können nicht nur in Ruhe in den Regalen
         einem Reporter.                     holt aus Regalen die gewünschten Waren.   stöbern und aus gleichen Produkten mehre-
                                             Schüttgut – von Mehl über Salz bis hin zu Zu-  rer Anbieter die für sie passende Ware aus-
         Die Aufmerksamkeit der Zeitungen ist Saun-  cker – wird in der gewünschten Größe in Pa-  wählen. Saunders bietet ihnen auch Anreize
         ders sicher. Denn was er in der Stadt am Mis-  piertüten abgefüllt. Ist die Liste abgearbeitet,   für zusätzliche Einkäufe. Er platziert an den
         sissippi aufzieht, ist nicht weniger als eine Re-  erhalten die Kunden ihre Güter und bezahlen.   Endpunkten der Regalreihen Aktionswaren,
         volution. Bisher operieren alle Einzelhändler in   Spontankäufe sind ausgeschlossen. Und   weist mit großen Werbeschildern auf die Son-
                                                                                 derangebote hin. Das Konzept kommt an.
                                                                                 1921, nur fünf Jahre nach Öffnung des ersten
                                                                                 Geschäfts, gibt es bereits 1.267 Piggly-Wig-
        © SalomonCeb – commons.wikipedia.org                                     Jahres bringt Saunders das Unternehmen an
                                                                                 gly-Stores in den USA. Im April des folgenden
                                                                                 die Börse. Investoren zahlen 2,15 Millionen
                                                                                 US-Dollar für 50.000 der 200.000 Aktien. Ein
                                                                                 gutes Investment: 1932, elf Jahre später, er-
                                                                                 wirtschaftet die Gesellschaft mit ihren inzwi-
                                                                                 schen 2.660 Filialen einen Jahresumsatz von
                                                                                 180 Millionen US-Dollar.

                                                                                 Saunders hat zu diesem Zeitpunkt längst
                                                                                 nichts mehr mit den »wackelnden Schwein-
                                                                                 chen« zu tun. Er wird bereits 1923 von der In-
         Das » Piggly Wiggly«                                                    vestmentbank Merrill Lynch und mit ihr ko-

                                                                                                         GCM 3 / 2019 9
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