Page 22 - German Council Magazin 05.2019
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GERMAN COUNCIL . ÖKOLOGIE




     © Rolf Richardson / Alamy Stock Foto                                      weil die Kälte Ackerbau unmöglich mache.
                                                                               Tatsächlich stagnieren in den 1970er Jahren
                                                                               die Getreideerträge in Kanada und den USA,
                                                                               Missernten häufen sich in der Sowjetunion,
                                                                               Indien und Pakistan.

                                                                               Doch die Eiszeit bleibt aus. Und: Von  den
                                                                               1980er Jahren an steigen die Temperaturen
                                                                               langsam, aber stetig wieder. Bryson bekennt,
                                                                               er habe sich geirrt – und den  Einfluss des
                                                                               Menschen  auf  das  Klima  überschätzt:  Die
                                                                               Temperaturen würden »seit Anfang des 19.
                                                                               Jahrhunderts, vor der industriellen Revoluti­
                                                                               on, steigen, weil wir aus der kleinen Eiszeit
                                                                               herauskommen, nicht weil wir mehr Kohlen­
                                                                               dioxid in die Luft bringen«, sagt der Wissen­
                                                                               schaftler 2007, ein Jahr vor seinem Tod, in ei­
                                                                               nem Interview.

                                                                               Grönland: Wikinger siedeln auf grüner
                                                                               Insel im Nordatlantik
       Grönland, Qassiarsuk (Viking Brattahlid), Erik Replik Dorf der Rot, Tjodhildes Kirche
                                                                               Tatsächlich wechseln sich seit Jahrzehntau­
                                                                               senden Kalt­ und Warmphasen, Eiszeiten und
       Nicht minder alarmiert berichtet am 21. März   ten die Eisberge weiter südwärts und wur­  Hitzeperioden im Klima der Erde ab. Als der
       desselben Jahres das Hamburger Abend­  den, etwa im Winter 1972/73, schon auf der   karthagische Feldherr Hannibal 218  vor
       blatt, viele Meteorologen fürchteten, dass die   Höhe von Lissabon gesichtet, mehr als 400   Christi mit 50.000 Soldaten, 9.000 Reitern
       globale Abkühlung zu  einem »Punkt ohne   Kilometer weiter südlich als in  den  Wintern   und  37  Kriegselefanten  im  Zweiten  Puni­
       Umkehr« führen und die Erde unter einem   zuvor«. Zugleich sei auf der nördlichen Halb­  schen Krieg von Frankreich über die Alpen
       ewigen Schild aus Eis und Schnee versinken   kugel »die mit Gletschern und Packeis be­  zieht, um Rom zu erobern, muss er keine
       könnte: »Der Winter 1968/69 brachte für den   deckte Fläche um rund zwölf Prozent« ge­  Gletscher überqueren. Und der Wikinger­Füh­
       Nordatlantik eine Eisbedeckung, wie es sie   wachsen. Und: »Am Polarkreis wurden die   rer Erik der Rote, von Island kommend, ent­
       schon  seit fast sechzig Jahren  nicht mehr   kältesten  Wintertemperaturen  seit 200  Jah­  deckt und besiedelt um 986 nach Christi ein
       gab. Viel Eis reflektiert viel Sonnenstrahlung   ren gemessen.« In Großbritannien und Island   eisfreies Grönland im Nordatlantik, dem er
       wieder in den Weltraum hinaus und ver­  seien die Folgen des Kälte­Trends bereits   den Namen »Grünes Land« gibt. Nicht Eis
       braucht viel Wärme zum Schmelzen.«   spürbar. »Auf Island ging die Heuernte um 25   und Schnee bedecken zu jener Zeit den Süd­
                                           Prozent zurück, auf der Britischen  Insel   westen der gewaltigen Landmasse, sondern
       Kälteperiode vor 40 Jahren galt als   schrumpfte die jährliche Wachstumsperiode   üppige Vegetation. In der damaligen mittelal­
       nächste Eiszeit                     der Pflanzen um etwa zwei Wochen«, berich­  terlichen Warmzeit ist das Klima im hohen
                                           tet das Magazin.                    Norden so mild, dass Ackerbau und Vieh­
       Der Spiegel informiert seine Leser am 12. Au­                           zucht problemlos möglich sind.
       gust 1974: »Spätestens seit 1960 wächst bei   Wie heute ist auch damals scheinbar schnell
       den  Meteorologen  und Klimaforschern  die   der Verursacher gefunden: der Mensch. Reid   Das ändert sich mit der um das Jahr 1400
       Überzeugung, dass etwas faul ist im umfas­  Bryson, Professor für Geologie und Meteoro­  beginnenden  »Kleinen Eiszeit«. Bis gegen
       senden System des Weltwetters.« Überall auf   logie  der  University of Wisconsin­Madinson   Ende des 18. Jahrhunderts sinken die Tem­
       dem Globus würde Experten Hinweise auf   und 1990 für seine Arbeit zur Klimaforschung   peraturen. Grönland wird von Schnee und Eis
       den Beginn einer neuen Kaltzeit finden.   vom Globalen Umweltschutzprogramm der   bedeckt. Die Wikinger geben ihre Siedlungen
                                           UNO ausgezeichnet, legt bereits Mitte der   auf. In Europa und Nordamerika werden die
       Was in dem »Katastrophe auf Raten« betitel­  1960er Jahre scheinbar schlüssig dar, dass   Winter immer kälter. In  den  Niederlanden,
       ten Artikel folgt, erinnert frappant an heutige   Aerosole, kleinste Schwebepartikel aus   Belgien und Nordfrankreich  frieren die Kanä­
       Schilderungen  über die Auswirkungen  der   Sprayflaschen, sowie Ruß  aus der Verbren­  le und Grachten – bis zum Bau der Eisen­
       globalen Erwärmung: In den vergangenen 20   nung von Kraftstoffen in der Erdatmosphäre   bahnstrecken die Haupttransportadern – re­
       Jahren sei durch eine »fortschreitende Ab­  einen feinen Partikelschleier geschaffen hät­  gelmäßig zu. Eindrucksvoll halten niederlän­
       kühlung des Nordatlantiks« die Meerestem­  ten, der die Sonneneinstrahlung mindert und   dische Maler wie  Hendrick  Avercamps und
       peratur »von zwölf Grad Celsius im Jahres­  so den Planeten in einen Kühlschrank wan­  Pieter Brueghels die Macht der Kältejahre in
       durchschnitt auf 11,5 Grad« gesunken. Seit­  delt. Werde nicht gegengesteuert, drohten   ihren  Werken  fest. Der venezianische Kom­
       her, schreiben die Spiegel­Autoren, »wander­  »eine Milliarde Menschen zu verhungern«,   ponist Antonio Lucio Vivaldi thematisiert


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