German Council Magazin 05.2018 - page 7

GCM 5/2018
GERMAN COUNCIL . PERSPEKTIVE
bettfieber sterben, wie jene Patientinnen, die
von Hebammenschülerinnen umsorgt werden.
Ohne Semmelweis keine moderne
Hygiene
Semmelweis hebt sich über Standesdünkel hin-
weg und analysiert, wie die angehenden Heb-
ammen im Vergleich zu den Ärzten ihre Arbeit
verrichten. Der wesentliche Unterschied: Die
jungen Schülerinnen waschen sich regelmäßig
die Hände, die Ärzte nicht. Dadurch tragen sie
Krankheitskeime von einer Patientin zur ande-
ren.
Semmelweis’ Entdeckung ist der Beginn der
modernen Hygiene. Er kann die Ärzte überzeu-
gen, sich vor jeder Untersuchung einer Mutter
die Hände zu waschen, später sogar mit Chlor-
kalk zu desinfizieren. Die Infektionsrate bei
den Patientinnen sinkt rapide. Binnen weniger
Monate stirbt nur noch jede Hundertste Gebä-
rende im Krankenhaus am Kindbettfieber.
Semmelweis zählt zu den wenigen Entdeckern,
die durch eine Änderung der Betrachtungsper-
spektive neue Erkenntnisse erlangen – und an-
dere schnell von dem gewonnen Wissen über-
zeugen können. Etliche andere neugierige
Geister hingegen werden dafür nicht immer
gefeiert. Im Gegenteil: Allzu häufig beginnt für
sie ein langwieriger, schmerzhafter Kampf ge-
gen die Beharrungskräfte der bestehenden Irr-
meinungen.
Als Galileo Galilei 1592 auf den Lehrstuhl für
Mathematik der Universität Padua berufen
wird, scheinen die Regeln der Astronomie klar:
Die Erde ist der Mittelpunkt des Universums;
Sonne, Mond und Sterne kreisen um sie. Die-
© The Granger Collection / Alamy Stock Foto
ses geozentrische Weltbild, 350 Jahre vor
Christi Geburt vom griechischen Philosophen
Aristoteles verfasst und vom Kirchenvater Basi-
lius der Große 378 zur Lehrmeinung des christ-
lichen Glaubens erhoben, gilt als unumstöß-
lich. Doch Galilei will nicht glauben, sondern
wissen. Er wechselt den Standpunkt und wird
vom Lehrenden zum Lernenden. Er bringt sich
bei, Brillenlinsen zu schleifen, baut ein Fern-
rohr und beobachtet über Jahre hinweg den
Verlauf von Sonne, Mond und Sternen am Fir-
mament.
Mutige Menschen, neugierige Geister
Was der Wissenschaftler dabei entdeckt und
gewissenhaft in Aufzeichnungen festhält, ist
der Beweis für eine viele Jahrzehnte zuvor vom
preußischen Astronomen und Kartografen Ni-
kolaus Kopernikus aufgestellte These: Nicht die
Sonne dreht sich um die Erde, sondern die
Erde um die Sonne – und ebenso die übrigen
Planeten des Solarsystems. Galilei bereitet da-
mit den Weg für die moderne Naturwissen-
schaft. Was folgt, ist eine Kette weiterer Entde-
ckungen, allesamt ausgelöst durch Betrachtun-
gen der Welt von einem anderen Standpunkt.
Der Brite Charles Darwin erkennt, dass die Ent-
wicklung von Menschen, Tieren und Pflanzen
ein seit Jahrmillionen andauernder Evolutions-
prozess ist. Werner von Siemens findet heraus,
dass sich durch Wasserkraft, Turbinen und Ma-
gneten elektrischer Strom erzeugen lässt und
bringt damit Maschinen zum Laufen und
taucht in der Nacht dunkle Straßen in helles
Licht.
Zu ihrer Zeit ist Galileis Erkenntnis so revolutio-
när, dass sie das Glaubensgerüst der Christen-
heit zu zerschmettern droht und deshalb von
Katholiken ebenso wie von Protestanten ent-
schieden bekämpft wird. Bereits Kopernikus ist
sich bewusst, welche Gefahren es birgt, Lehr-
sätze der Kirche in Frage zu stellen. Er veröf-
fentlicht seine Schrift »De revolutionibus orbi-
um coelestium« – »Über die Schwünge der
himmlischen Kreise« – erst, 70 Jahre alt und
schwer erkrankt, kurz vor seinem Tod im Jahr
1543. Galilei hingegen hält sich nicht zurück.
1630 bringt er seinen »Dialogo di Galileo Gali-
lei sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tol-
emaico e Copernicano« – seinen berühmten
Dialog über das geozentrische und kopernika-
nische Weltsystem.
Die Reaktion der Kirche folgt schnell: Galilei
wird in Rom vor das Inquisitionsgericht gestellt
und zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. Eine
Strafe, die Ascanio Piccolomini, Erzbischof von
Adam Smith
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