Page 7 - German Council Magazin 04.2021
P. 7
GERMAN COUNCIL . WERTE
WERTE DES G Sprachen, Gewinnstreben, Menschenkenntnis, © Pixabay.com
erühmt wurden einst die praktischen Fähig-
keiten des Kaufmanns – Schreiben, Rechnen,
Organisationstalent, Weitblick. Das klingt fast wie eine
Stellenausschreibung für Top-Manager von heute. Ver-
EHRBAREN trauen zu schaffen, Höflichkeit zu pflegen, Ordnung zu
halten und die Kultur zu fördern – kurzum: den sozialen
Frieden in der Stadt zu untermauern – galten seit jeher als
die klassischen kaufmännischen Tugenden. Der ehrbare
Kaufmann gehört zum europäischen Bürgertum einfach
dazu. Ist er aber ein Idealbild oder gar ein Phantom?
KAUFMANNS GESCHÄFTSERFOLG GEHT MIT VERANTWORTUNG EINHER
Keineswegs, sagt Professor Dr. Werner Reinartz. „Das
Narrativ des ehrbaren Kaufmans, auch wenn es einem
als oberflächlich oder aus der Zeit gefallen vorkommen
mag, hat eine viele Jahrhunderte alte Tradition. Die Idee Das „Stuhlmacher“ in Münster
findet ihre Anfänge im mittelalterlichen Italien und dem
HANDWERKSZEUG FÜR RETAILER norddeutschen Städtebund der Hanse. Der Grundgedan-
ke ist, dass wirklicher Geschäftserfolg immer langfristig
angelegt ist und mit gesellschaftlicher Verantwortung
einhergeht. Diese gründet wiederum auf moralischen legen, aber es erscheint mir, dass die Debatte um Nach-
Wertvorstellungen und akzeptierten Verhaltensnormen. haltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR)
Zu diesen Werten und Normen gehörten traditionell vieles von dem Leitbild wieder aufgreift.“
Sparen, Fleiß, Betriebsamkeit, Ordnung, Entschlossen-
heit, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Zuverlässigkeit, OPPORTUNISTEN ZIEHEN IRGENDWANN DEN KÜRZEREN
Pünktlichkeit, Einfachheit, Wahrhaftigkeit und Ehrlich-
keit. Was davon heute noch gilt, muss jeder für sich fest- Historisch drehe sich alles um die Themen Vertrauen und
Fairness, führt Professor Dr. Reinartz aus. „Im Kern geht
es darum, dass typische Verkäufer-Käufer-Beziehungen
asymmetrisch sind. Das heißt, der Verkäufer hat prak-
tisch immer einen Informationsvorteil über das Produkt
gegenüber dem potenziellen Käufer. Das könnte man aus-
© Gerd Altmann – Pixabay.com delsgesetze geschaffen wurden. Davon abgesehen wird es
nützen, wobei dafür natürlich auch entsprechende Han-
einem kurzfristig und opportunistisch orientierten Kauf-
mann nie gelingen, eine positive Reputation aufzubauen.
Diese ist aber Voraussetzung für langfristigen geschäftli-
chen und gesellschaftlichen Erfolg. Zu diesem Zweck hat
sich der Rückgriff auf etablierte Werte und Normen äu-
ßerst bewährt – welche tatsächlich mit den Prinzipien des
ehrbaren Kaufmanns eine substanzielle Überschneidung
haben.“
Und das sei bis dato so, meint der Retail-Kenner. „Indivi-
duen und Unternehmen bewegen sich bis heute in dem
Spannungsfeld von kurzfristigem – und persönlichem –
sowie langfristigem Erfolg nebst gesellschaftlicher Verant-
wortung. So unterwerfen sich zum einen heute immer mehr
Vertragsabschluss per Handschlag Unternehmen freiwillig einem so genannten Code-of-
SHOPPING PLACES* MAGAZINE 4 / 2022 5