Page 6 - German Council Magazin 03.2021
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GERMAN COUNCIL . GLOKALISATION
»Denke global, handele lokal« Universität Hamburg. »Der Anker, mit
dessen Hilfe die Menschen versuchen, sich
im Kleinen wieder neu zu organisieren,
Die Welt wächst durch den internationalen Handel immer enger neue Bezugsgruppen zu schaffen, um in
der riesigen Welle des Globalisierungspro-
zusammen. Gleichzeitig wird dabei die Berücksichtigung regionaler zesses Halt zu finden.«
Empfindungen und Gebräuche immer wichtiger. Die sogenannte
Glokalisierung – die Übertragung globaler Entwicklungen auf lokale Im Widerspruch der gleichzeitig ablaufen-
Ebenen – ist ein neuer Megatrend, der Unternehmen vor enorme den Bewegungen hat der US-Soziologe
Herausforderungen stellt. Sie bietet aber auch jede Menge Chancen Roland Robertson, Professor der Univer-
sity of Aberdeen in Schottland, einen Me-
für neue Geschäftsmodelle ga-Trend ausgemacht: Die »Glokalisie-
rung«. Das Kofferwort aus den überlap-
penden Begriffen Globalisierung und Lo-
Langwierige Verhandlungen sind abge- chen Globalisierung und Internationalisie- kalisierung stehe »für die Gleichzeitigkeit
schlossen. Der Vertrag ist unterschriftsreif. rung an Bedeutung verlieren«, sagt Elke – die Ko-Präsenz – von einerseits universa-
Der arabische Geschäftspartner lässt Kaf- Mönch, Expertin für Auslandsgeschäfte lisierenden und andererseits partikularisie-
fee servieren. Entspannt schlägt der deut- bei der IHK Nordschwarzwald. Schließ- renden Tendenzen«, sagt Robertson. Die
sche Manager die Beine übereinander. Ein lich würden die Menschen überall auf der neue Weltoffenheit – vom internationalen
massiver Fehler. Seine Schuhsohlen zeigen Welt Levis-Jeans tragen, Big Macs verspei- Schüleraustausch über Fernreisen bis hin
auf den Unternehmer aus dem Nahen Os- sen und Coco Cola trinken. Und selbst im zum globalen Handel – werde begleitet
ten. Eine Geste höchster Verachtung. Das kommunistisch regierten China seien Un- von zunehmender lokaler Verwurzelung.
Geschäft droht zu platzen. ternehmen am liebsten in Fahrzeugen aus
bayerischer und schwäbischer Produktion Dumm gelaufen, Mitsubishi!
Das ist nur ein (fiktives) Beispiel, mit dem auf den Straßen unterwegs. »All das ver-
der interkulturelle Coach und Sprachtrai- leitet uns schnell zu der Annahme: Die Es ist ein Prozess, der auf zahlreichen Ebe-
ner Samir L. Iranee bei einem Workshop im sind ja wie wir«, sagt Mönch. nen abläuft: Nationalstaaten geben einer-
Bildungszentrum der Industrie- und Han- seits immer mehr ihrer Kompetenzen an
delskammer Nordschwarzwald in Freu- Doch das ist ein Irrtum, weiß die Expertin supranationale Bündnisse und Einrichtun-
denstadt demonstrieren will, welche gravie- und spricht von der »Ähnlichkeitsfalle«. gen wie die Europäische Union oder den
renden Konsequenzen kleine unbedachte Der Annahme, dass Menschen, die sich Basler Ausschuss für Bankenaufsicht ab,
Handlungen haben können, wenn Men- ähnlich kleiden und ähnliche Konsumgü- der mit international verbindlichen Eigen-
schen aus unterschiedlichen Kulturkreisen ter bevorzugen, einander auch in allen an- kapitalvorschriften für Geldinstitute die
miteinander Geschäfte tätigen wollen. deren Belangen ähnlich sind. »Aus der Kreditvergabe in den Industrienationen
vermeintlichen Gleichheit sollte nicht die wesentlich beeinflusst. Andererseits sind
»Noch vor einigen Jahren wurden Stim- Erwartung von identischen Verhaltensfor- in einer Reihe von Ländern nationalisti-
men laut, dass kulturelle Unterschiede im men und Wertvorstellungen resultieren«, sche Parteien und Politiker im Aufwind.
Zuge der voranschreitenden wirtschaftli- warnt denn auch die Nürnberger Soziolo- Beispiele dafür sind die PIS in Polen, die
gin Hanna Seelmann-Holzmann in ihrem Fidesz in Ungarn, Jair Messias Bolsonara
Buch Cultural Intelligence. in Brasilien und in den USA Expräsident
© L ’Oréal Lokalisierung als Rettungsanker Donald Trump.
Konzerne können heute nicht mehr allein
Die Globalisierung durch den internatio- auf ihren Heimatmärkten bestehen, son-
nalen Handel hat die Welt so nah zusam- dern sind gezwungen, in andere Regionen
menrücken lassen wie nie zuvor in der Ge- der Welt zu expandieren. Doch um dabei
schichte. Gleichzeitig sind die Menschen Erfolg zu haben, benötigen sie »interkul-
nicht nur weiterhin stark lokal verwurzelt turelle Kompetenz«. So beschreiben Sozi-
und hegen ihre Traditionen. Viele Konsu- alwissenschaftler die Fähigkeit, sich in An-
menten fragen bewusst regionale Produk- gehörige anderer Kulturen hineinzuden-
te nach, um die auf langen Transportwe- ken und auf deren Bedürfnisse und Emp-
gen entstehenden CO -Emissionen zu ver- findungen Rücksicht zu nehmen.
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ringern. »Lokalisierung ist die Gegenbe-
wegung zur Globalisierung«, erläutert Wie schnell dabei ein Fauxpas passieren
L’Oréal-Kampagne zugunsten der »Black Lives Thomas Straubhaar, Professor für Inter- kann, zeigt nicht nur das fiktive Beispiel
Matter«-Bewegung in den USA nationale Wirtschaftsbeziehungen an der des interkulturellen Trainers Iranee beim
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