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GCM-3-2015

  GCM 3 / 2015 GERMAN COUNCIL . vision Stadtteil mit 60 Prozent Arbeitslosigkeit um- zieht. Da liegen pragmatische Erklärungen nahe: Die Gesamtschule-Ost hatte einen gro- ßen Saal mit Sanierungs- und Nutzungsbedarf, wir den Bedarf an besseren Arbeits- und Pro- duktionsbedingungen. Die Miete sichert der Schule eine Teilrefinanzierung der Modernisie- rung und uns einen perfekten Probenraum. Durch die Vereinbarung des Unvereinbaren lösten wir unsere Probleme gemeinsam. Nicht nur das, Sie arbeiten auch mit den Schü- lern vor Ort. Albert Schmitt:  Für uns war immer klar, wir können hier nicht wie ein Meteorit runter- plumpsen. Menschen in diesem Stadtteil war- ten nicht darauf, dass Kultur-Vertreter des klas- sischen Bildungsbürgertums zu ihnen ziehen. Weniger klar war uns, was diese Menschen umtreibt. Gut zuzuhören ist wichtig! So wie damals, als es darum ging, das Orches- ter zum Unternehmen umzubauen, setzten wir uns gemeinsam mit Lehrern und Sozialpäda- gogen hin. Sie erklärten, warum miteinander zu musizieren allein für Kinder keinen Unter- schied macht, deren Biografien vor allem eins kennzeichnet: massive Brüche. Sie fühlen sich als Opfer, dominiert vom Gefühl: Das Leben läuft nicht gut für mich. Nur Verlässlichkeit bie- welchem Jahr sie mitmachen. Abendelang könnte ich unglaubliche Geschichten erzählen, und wir würden aus dem Gerührtsein nicht mehr herauskommen – Kinder, bereits auf der schiefen Bahn, die nun ein solides Leben füh- ren. Kennt man die Alternative, ist der Wert unbeschreiblich. Auch Sie vollzogen einen entscheidenden Wandel vom Musiker zum Manager. Auf wel- cher Seite stehen Sie bei Konflikten? Albert Schmitt:  Meine Haltung ist eine mög- lichst ergebnisoffene. Als Geschäftsführer mo- deriere ich oft zwischen Art-Direction und Wirtschaftlichkeit. Mal entscheide ich für die Marke, mal für die musikalische Integrität. Wirtschaft und Kultur ist auch so ein Sekun- den-Paar – da sind Konflikte vorprogrammiert. Seit ich sie nicht mehr umgehen will, erlebe ich keine Belastung mehr, sondern Herausfor- derungen. Das einzige, was man opfern muss, ist die Illusion eines konfliktfreien Lebens. Sie opferten auch die Idee, dass Musiker von Weltklasse einen namenhaften Chefdirigenten brauchen. Bei Ihnen entscheidet »das Volk«, wer regiert. Kann die Wirtschaft davon lernen? Albert Schmitt:  Das stimmt nicht ganz. Der Beethoven-Zyklus machte uns weltberühmt, was wir unserem damaligen und heutigen Chefdirigenten Paavo Järvi verdanken. Richtig ist aber, dass unser Orchester auch ohne Diri- genten spielen kann. Diese herausragende Ei- genschaft pflegen wir. Das ist keine Absage an Dirigenten des alten Stils, für moderne ist es sogar der Anreiz zu kommen. Denn ein Ensem- ble, das so intensiv aus der Musik heraus mit dem Dirigenten kommuniziert, ist derzeit ein- zigartig. Nicht jeder kann mit diesem hohen Potential umzugehen. Es bedarf situativer Füh- rungsqualität, einer gelassenen Grundhaltung und großer Autorität, aber auch dem Selbst- verständnis, ein Kammermusiker unter Kam- mermusikern zu sein. Wie in der Wirtschaft gilt: Je souveräner der Chef, umso größer die Chance, dass Mitarbeiter ihr Potenzial wirklich entfalten. Klassische Musik ist heute ein Auslaufmodell. Trotzdem machten Sie aus 400 Abokarten 5.000. Woher kommt der Sog, wenn nicht von der Musik? Albert Schmitt:  Er kommt von der Musik! Un- sere Konzerte reißen mit, deshalb gelingt die Wiederbelebung. In Südamerika pfeifen und johlen die Menschen wie nach Rockkonzerten, in St. Petersburg oder in Tokio reißt der Ap- plaus auch dann nicht ab, wenn Dirigent und Musiker längst verschwunden sind. tet eine reale Chance, die im Selbstbild ange- legten negativen Erfahrungen positiv zu über- schreiben. Natürlich nahmen wir uns das zu Herzen. Mit einem 20-Jahres-Mietvertrag in der Tasche überlegten wir, wie Projekte beschaffen sind, die Kindern lebensbejahende Verlässlichkeit bieten. »Melodie des Lebens« heißt das For- mat – wie wir später von den Kindern lernen sollten. Tatsächlich bietet es eine Plattform, um ihre Befürchtungen, Ängste und Träume in Musik zu gießen. Ihre erste Anlaufstelle ist der Pianist, Liedermacher und Entertainer Mark Scheibe. Mit ihm fanden wir einen musikali- schen Autodidakten, der in den Augen der Kin- der glaubwürdig ist. Zu ihm kommen sie mit fertigen Liedern, mit Texten, Ideen oder ein- fach nur, um vorbeizuschauen. So entwickeln sich tolle Sachen, was auch Marks Fähigkeit ge- schuldet ist, Kinder in ihrer Besonderheit zu fördern. Die Arrangements, Raps und Lieder bringen wir gemeinsam mit dem Orchester auf die Bühne. Der Effekt ist enorm. Die Kinder entwi- ckeln Selbstbewusstsein, alternativen Problem­ umgang und den Mut, Sachen anzugehen. Aber vor allem lernen sie, Gestalter statt Opfer zu sein. Sie entscheiden, ob, wie oft und in ©JörgSarbach Die »Melodie des Lebens« bietet eine einzigartige Plattform, um Befürchtungen, Ängste und Träume der Kinder in Musik zu gießen.

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