Page 9 - German Council Magazin 02.2014
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GERMAN COUNCIL . IN MOtION

          vice, bei dem der Verbraucher online bestellt und die Ware selbst in
          der Filiale oder einem Zentrallager abholt. Zudem beteiligen sich La-
          denbetreiber an jungen Internet-Firmen aus anderen Branchen, um zu
          lernen, wie das Geschäft im Netz funktioniert. Dahinter stehen noch
          keine  riesigen  Investments.  Zu  groß  ist  offenbar  die  Angst,  Geld  zu
          verbrennen. Aber die Großen im stationären Geschäft wollen gewapp-
          net sein – für den Fall, dass der Markt anspringt und Branchenfremde
          ihnen Marktanteile abjagen wollen. Es geht um Kundenbindung und
          Marktanteile.

          Zunächst. Aber natürlich treibt alle die Frage um: Wie lässt sich mit Le-
          bensmitteln, deren Marge aufgrund des starken Preiswettbewerbs na-
          hezu ausgereizt ist, im Online-Geschäft Geld verdienen? In einem Me-
          tier also, in dem die besonderen Herausforderungen in der Logistik
          das Geschäft teuer machen.

          Problem Nummer eins: der Lieferwagen. Die Fahrzeuge müssen über
          drei unterschiedliche Temperaturzonen verfügen – für gefrorene, ge-
          kühlte und temperaturunempfindliche Waren. Das schränkt die Lade-
          kapazität ein und verschlingt hohe Summen für Anschaffung und Un-
          terhalt.                                                                                                      © Thinkstock.com

          Problem  Nummer  zwei:  die  Ungeduld  der  Kunden.  Wer  Milch,  Jo-
          ghurts und Obst online ordert, möchte die Sachen zügig angeliefert
          bekommen.  Und  möglichst  persönlich  in  Empfang  nehmen  –  nicht
          beim Nachbarn oder einer Paketstation abholen. Das hat eine Studie   Problem Nummer sieben: die niedrigen Einkaufsbons. Bei Lebensmit-
          des IFH Instituts für Handelsforschung gezeigt.        teln liegt der durchschnittliche Einkaufsbetrag im Online-Geschäft bei
                                                                 unter zehn Euro. Da fallen ein paar Euro Aufschlag für die Zustellung
          Problem Nummer drei: die Zustellung. Der Bote muss den Kunden an-  stark  ins  Gewicht.  Ein  Mindestbestellwert  könnte  die  Lösung  sein.
          treffen. Aber niemand will den ganzen Vormittag zu Hause bleiben   Doch der, so meint Experte Heinemann, müsste mindestens 100 Euro
          und  auf  seine  Einkäufe  warten.  Eine  zeitgenaue  Lieferung  ist  teuer.   betragen.
          Aber das lässt sich mit einer verbesserten Technik möglicherweise in
          den Griff bekommen. Manche Lieferdienste sind schon heute in der   Wenn Skeptiker die vielen Herausforderungen auflisten, vor denen die
          Lage, exakte Zeitfenster anzugeben, in denen sie die Ware anliefern.   Netz-Verkäufer von Lebensmitteln stehen, verweisen Online-Enthusi-
          Nur:  Ist  das  Zeitfenster  zu  eng,  kann  es  passieren,  dass  eine  Straße   asten gerne auf die Verhältnisse in Großbritannien. In keinem ande-
          mehrfach angefahren werden muss, weil die Kunden unterschiedliche   ren Land haben große Ketten wie Tesco in den vergangenen Jahren so
          Lieferzeiten gewählt haben.                            viel in den digitalen Handel investiert. Und nirgendwo werden inzwi-
                                                                 schen so viele Lebensmittel per Klick gekauft. Knapp sechs Milliarden
          Problem Nummer vier: die hohe Empfindlichkeit der Waren. Erdbee-  Euro setzten die Internet-Verkäufer im vergangenen Jahr um. Nur: Gut
          ren, Joghurts oder Salate sind leicht verderblich. Gehen sie durch viele   verdient haben sie dabei nicht, im Gegenteil. In vielen Fällen haben
          Hände, steigt das Risiko, dass sie beschädigt werden und aussortiert   die Kosten die Erträge aufgefressen. Und das, obwohl die Margen in
          werden müssen.                                         Großbritannien sehr viel größer sind als in Deutschland. Nein, der Kö-
                                                                 nigsweg im Online-Vertrieb mit Lebensmitteln ist noch nicht gefun-
          Problem Nummer fünf: der Qualitätsanspruch der Kunden. Die Frische   den. Gut möglich, dass die Bastion LEH für die Internet-Verkäufer noch
          der Produkte sind der Studie des IHH Instituts für Handelsforschung   auf sehr lange Zeit uneinnehmbar ist.
          zufolge  die  wichtigste  Voraussetzung  für  den  Online-Kauf.  Kunden,
          die in diesem Punkt einmal enttäuscht werden, kehren dem Online-
          Händler möglicherweise erst einmal für längere Zeit den Rücken.
                                                                                    Ein Beitrag von
          Problem Nummer sechs: die Preisempfindlichkeit der Kunden. In kei-        Stefan Weber
          nem anderen Land besitzen Discounter eine ähnlich starke Marktposi-
          tion wie in Deutschland. Die Folge: Nirgendwo sonst sind Lebensmit-
          tel  so  preiswert  wie  hierzulande.  Eine  Belieferung  ist  jedoch  in  der
          Mehrzahl der Fälle ohne einen Aufschlag nicht wirtschaftlich zu be-
          treiben. Ob es ausreichend viele Online-Besteller gibt, die diesen Ext-
          rapreis zu zahlen bereit sind? Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Re-
          search Centers an der Fachhochschule Niederrhein, ist sicher: »Nein,
          die gibt es nicht.« Vielleicht in Ballungszentren, aber keineswegs flä-
          chendeckend. Andere Experten vermuten, dass es vor allem Senioren,
          Familien und beruflich stark engagierten Menschen durchaus ein paar   Stefan Weber berichtet seit mehr als 20 Jahren für die Wirtschaftsredaktion
          Euro wert sein wird, Fleisch, Getränke oder Obst an die Haustür gelie-  der Süddeutschen Zeitung aus Nordrhein-Westfalen. Seine Themen findet der
          fert zu bekommen. Ob das genügt für eine Revolution im Lebensmit-  Diplom-Kaufmann vor allem in der Welt des Handels – schließlich ist die Regi-
          telhandel?                                             on an Rhein und Ruhr die Heimat der meisten großen Handelsunternehmen.

                                                                                                             GCM 2 / 2014  
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