Page 4 - German Council Magazin 02.2014
P. 4
GERMAN COUNCIL . INhALt
in motion
GerMan CounCil . in Motion GerMan CounCil . in Motion
Anfangen, wo andere aufhören – 1. Teil
Weil sich die Oterser nicht kilometerweit zum Einkaufen bewegen wollten, schoben
sie ihren eigenen Dorfladen an. Mit Erfolg. Und der hat Folgen.
Wenn Bauer Paul mit Enkel Jonas einkaufen geht, ziehen sie vorm Ge- dachten die Oterser und entschieden sich für Engagement statt Unter- Gemeinsamkeit zählt
schäft die Schuhe aus. Ihren Stalldreck möchten sie nicht in den Laden versorgung. Mit 75.000 Euro Invest lässt sich das Problem beheben,
tragen. Zu Hause sind derlei Höflichkeitsgesten normal, beim Shoppen errechnete Dorfbewohner Günter Lühning, von Beruf Sparkassenfilial-
dürften sie ein Oterser Unikum sein. Otersen, 520 Seelen, ein Dorf ir- leiter. Er schlug vor, eine Minigenossenschaft zu gründen, um die nach
gendwo zwischen Hannover und Bremen. Die Landschaft ist idyllisch, Abzug der Gemeindezuschüsse fehlenden 50.000 Euro zu finanzieren.
GERMAN COUNCIL . IN MOtION GERMAN COUNCIL . IN MOtION die Schafe sind schmuck, die Gehöfte sind es auch. Hier wird beim Erle- »Im schlimmsten Fall ist das Geld weg. Keiner haftet persönlich«, klär-
digen der Besorgungen eher geduzt als gesiezt, geschnackt als gesmall- te der heutige Vorsitzende des Dorfladen-Netzwerk.de seine Mitstrei-
talkt, und was im Sortiment fehlt, besorgt der Krämer extra. ter auf. Tatsächlich kauften 70 Bürger Anteilsscheine im Wert von je
Kauftypen 202 250 Euro. Es war eine riskante Investition. Eine, die auf Lebensqualität
spekuliert, nicht auf geldwerte Rendite. Damals konnte jeder nur hof-
Ohne den Laden hätte vermutlich bis heute niemand weiter Notiz von fen, dass der Laden schwarze Zahlen schreiben werde. 13 Jahre später
Wie werden wir morgen shoppen? dem Ackerbürgerdörfchen genommen. Aber Nahversorger in flau be- besitzen 120 Bürger Anteilsscheine und jeder weiß, mit 370.000 Euro
siedelten Landstrichen sind mittlerweile erfreuliche Ausnahmen. Sind Nettojahresumsatz trägt sich das Geschäft.
sie dazu noch auf 180 Quadratmeter in tipptopp renoviertem Bauern-
haus und in Bürgerbesitz, ist das schon außergewöhnlich. Wie es zur Hätten die Oterser nicht zur Selbsthilfe gegriffen, wären sie, wie acht
Kollektivierung der Nahversorgung kam, daran erinnert sich noch je- Millionen andere Deutsche, in die Unterversorgung gerutscht. Allein
gel strich. Gerade mal ein Dreivierteljahr Zeit blieb den Dorfbewoh-
von 125.000 eigenständigen Kaufleuten, die es 1970 bundesweit gab,
Wie stark das allgegenwärtige Internet unseren Alltag verändert, erle- Im Gegensatz zu Trends und Prognosen prophezeien Szenarien nicht der im Ort. Es war 2000, als der letzte Krämer altersbedingt seine Se- in Bayern haben 70 % der kleinen Dörfer keinen Krämer mehr. Und Dorfladen Otersen: Bürger zwischen 17 und 77 erbrachten 5.000 Std. Eigenleistung Spitzenköche Open-Air in Otersen
ben wir täglich am eigenen Leib: Schnell prüfen wir auf dem Smart- die eine – richtige – Zukunft. Das EHI hat sich deshalb für diese Metho- © brickrena / Thinkstock.com nern, um die 15 Kilometer lange Fahrt zum Einkaufen abzuwenden. waren vorletztes Jahr 25.000 übrig, bilanziert der deutsche Lebensmit-
phone, ob der Zug pünktlich ist, scannen den QR-Code auf der Rot- de entschieden, weil sie alternativ denkbare Situationen in der Zukunft Allerdings entpuppte sich die Nachfolgersuche als aussichtslos und Fi- teleinzelhandel. In den gleichen 42 Jahren sank die Zahl der Geschäfte
wein-Flasche, um mehr über den Winzer zu erfahren und rufen Gut- beschreibt, die auf einem Netzwerk der wichtigsten Schlüsselfaktoren
scheine für den Einkauf ab. Längst bewegen wir uns zwischen den beruhen. Die Werthaltung der Konsumenten gehört genauso dazu wie lialketten winkten entschieden ab. »Stirbt der Laden, stirbt das Dorf«, von 160.000 auf 36.866. Denn mit den Filialisten setzte sich die Maxi-
Welten: online wie offline. Unser Kommunikations- und Shopping-All- die Mediennutzung, das Einkaufsverhalten und die Markentreue. me durch: Lieber wenige Große als viele Kleine. Für ihren geübten Weil ihnen ihr 140-qm-Laden nicht den nötigen Platz bot, kaufte die
tag wird ins Netz verlagert und das Netz in unseren Alltag integriert.
Szenarien sind keine Strategie, sondern das Ergebnis einer Teamleis- egal sind. Für sie zählt nur das Preis-Leistungs-Verhältnis. Andere – die hofs Roma Ostiense mit 23 Restaurants und Cafes, einer Kafferösterei Renditeblick sind die Miniaturstädte nur eins – Verlustgeschäfte. Ladeninitiative ein baufälliges kleines Bauernhaus.
tung. Das EHI hat gemeinsam mit führenden Marketingexperten aus Wertorientierten – werden neue Geschäftsmodelle verlangen, weil sie und einer Brauerei seine Leidenschaft für Lebensmittel und Genuss.
Wie also werden wir morgen shoppen? Was wollen die Menschen in Handel, Medien und Dienstleistern Zukunftsbilder entwickelt, die die ihre Produkte lieber mieten statt kaufen wollen. Wieder andere, die
Zukunft? Was sind ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse? Wie muss Kommu- Lebenswelten der Konsumenten von morgen lebendig werden lassen Cyberflaneure, absolvieren einen großen Teil ihrer Shopper-Journey in Für die emotionale Bindung des Kunden ist die eigene Verkaufsstelle Und vielen Orten blüht erst noch, was Otersen bereits um 1980 erlebte. Diesmal griffen die aktiven Bürger nicht nur zur Kohle, sondern auch
nikation beschaffen sein, damit sie im Markt erfolgreich ist? Wie und daraus die Konsequenzen für die Kommunikation des Handels bis den digitalen Welten, bevor sie den Laden betreten und sich von digi- der ideale Ort. Der Einsatz »cooler«, dem Zeitgeist entsprechender Es schrumpfte von 500 auf 400 Einwohner. Eigentlich war der Heideort zur Kelle. Insgesamt steckten 70 Bürger 5.000 Stunden Eigenleistun-
spricht der Handel die Sinne des Menschen an, wie wird die Lust zum zum Jahr 2025 abgeleitet. talen Informationssystemen beraten lassen. Technologien am Regal ergänzt die Inszenierung auf der Fläche und
Kauf geweckt? Kommt der Kunde auch künftig noch ans Regal oder hilft, Produkte auf eine neue Art spannend zu inszenieren und sie be- auf dem besten Weg zum toten Dorf; dann brachte 1991 die Aufnahme gen in den alten Fachwerkhof, für den sie 70.000 Euro bezahlten. Ge-
wird die rasante Entwicklung des Online-Shoppings das Ende des sta- 2025 klingt nach den unendlichen Weiten des Cyberspace, in dem der Der Genusskäufer wiederum liebt seine Marke und die theatralische gehrenswert und kaufenswert zu machen. Bei Burberry in London wer- ins Dorferneuerungsprogramm die Wende. Die Fördergelder sanierten
tionären Handels bedeuten? stationäre Handel maximal noch im Museum auftaucht. Doch das Jahr Inszenierung auf der Fläche. Kampfpreise lassen die Kunden im Szena- den Spiegel auf der Fläche zum Verkaufs- und Unterhaltungsscreen, schätzte 600.000 Euro ist der Kollektivbesitz heute wert. Mit EU- und,
2025 liegt gerade mal elf Jahre voraus. Und obwohl wir uns alle einig rio: »Küss mich, berühr mich, verführ mich« absolut kalt. Wofür sie die dem Kunden Empfehlungen à la »das passt dazu« oder »Kunden heruntergekommene Häuser und das geschundene Selbstbewusstsein Gemeindegeldern sowie der Verdoppelung von Bürgereinlagen auf
Trends, Prognosen und Expertenmeinungen zur Zukunft gibt es wie sind, dass die Digitalisierung den Alltag der Menschen drastisch ver- sich jedoch erwärmen, sind die Erlebniswelten beim Einkauf, vor al- kauften auch« anbieten oder auch die neuesten Making-of Videos akti-
Sand am Meer. Dass solche Vorhersagen im Allgemeinen jedoch we- ändern wird, zeigen die acht alternativen Szenarien, dass es nicht nur lem im Store, aber auch im Internet. Das sinnliche Erleben der Produk- vieren, sobald sich der Kunde mit dem getaggte Produkt nähert. ihrer Bewohner gleich mit. Statt weiter Energie mit Mangelklagen an 100.000 Euro wurde die Anschubfinanzierung gestemmt. Statt Miete
nig verlässlich sind, zeigen die Irrtümer berühmter Experten. So be- den einen – richtigen – Weg zum Kunden von morgen gibt. So wird es te, das Fühlen, Riechen, Ausprobieren, steht im Mittelpunkt. Das Gemeinde- und Landesväter zu vergeuden, half der Revitalisierungs- zu zahlen, tilgt man nun 218.000 Euro Darlehen. Das Beste: Neben 40
hauptete Bill Gates 1995 »Das Internet ist nur ein Hype.« kritische Verbraucher geben, denen statusorientierte Marken völlig Brand Victim liebt seine Marke, ob Handelsmarke samt Eigenmarke Einkaufen wird durch emotionale Shop-Gestaltung als Erlebnis insze-
oder Markenartikel. Einkauf ist für diese Kunden nicht Bedarfs niert und erzeugt dadurch eine Bindung des Kunden. Erlebnisarchitek- schub, die Welt wieder aktiv zu gestalten. Mit 520 Menschen leben Quadratmetern mehr Verkaufsfläche gibt es nun 70 Extraquadratme-
deckung, sondere elementarer Teil der Freizeitgestaltung. tur und ganzheitliche Raumkonzepte schaffen außergewöhnliche Ein- heute mehr in Otersen als vor dem Abschwung. Bei den Neubürgern ter Café. Hier strickt der Knüddelclub, schnuddeln die Dorfältesten
kaufserlebnisse, die in jedem Augenblick die Seele der Marke leben-
Daraus ergibt sich für den Handel die zentrale Kundenbotschaft: Hier dig und mit allen Sinnen erfahrbar werden zu lassen. Händler stellen nachgefragt, stellten die Einheimischen verblüfft fest, dass Bauland zu und freitags gibt’s Suppe. Klappt alles wie geplant, wird künftig täg-
könnt ihr was erleben! Das Marketing zielt darauf ab, das Marken- ihre Kompetenz unter Beweis, indem sie alle Details so orchestrieren, Schnäppchenpreisen von 35 Euro pro Quadratmeter gar nicht der An- lich ein Mittagsgericht serviert.
Image zu stärken. Hier gilt: klotzen statt kleckern. Genauso wichtig ist dass sie als sinnliche Wahrnehmung im Unterbewusstsein der Genuss-
es, ein einmaliges Einkaufserlebnis zu schaffen und sich damit vom käufer positiv geladene Stimmungen erzeugen. siedlungsgrund Nummer eins war. Entscheidender waren der örtliche
Wettbewerb zu differenzieren. Kindergarten und – der Laden. Der ist gewissermaßen Akupunktur fürs All dies ist Dienst am Kunden, bahnt aber auch den Weg zum Extrage-
So vielfältig die Wege zum Kunden sind, eins haben sie gemeinsam:
Genau wie der neue Department Store von Breuninger in Düsseldorf. Kommunikation kann nur vom Kunden ausgehen und konsequent vom Dorf. Mit einem gezielten Stich hält er die Gemeinschaftsenergie in schäft. Der Einzugsradius des Dorfladens ist mit 520 Oterser, 190 Witt-
Auf fünf Etagen bietet er ein Einkaufserlebnis der Extraklasse. Breunin- Kunden gedacht werden, wenn sie erfolgreich sein will. Statt wie bis- Fluss – Alte müssen nicht abwandern, Junge wollen bleiben und Neue lohern und 900 Gelegenheitskäufern aus den Nachbargemeinden
ger inszeniert im Kö-Bogen seine Markenwelt in hochwertigen Flag- her den richtigen Kommunikationsmix für die Marke zu suchen, müs-
ship-Stores und gastronomischen Angeboten. Wer sein Shoppingerleb- sen künftig die Lebenswelten und Konsumverfassungen der Kunden ziehen zu. Betrieben wird der Laden wohlgemerkt nicht von Profis, überschaubar klein. Der Deckungsgrad des Lebensmittelsbedarfs zählt
nis lieber in privater Atmosphäre mit persönlicher Beratung genießt, berücksichtigt werden. sondern von Bürgern, die sich, getrieben von Wunsch nach Lebensqua- mit 35 % schon zu den hohen. Was aber, wenn die jährlich 6000 Rad-
kann den speziellen »Personal Shopping Service« des Hauses in An-
spruch nehmen. Oder Bikini Berlin: Das etwas andere Shopping Center lität, ermächtigen. Doch die Gesetze des Handels sind erbarmungslos wanderer lokale Köstlichkeiten zu schätzen lernen? Oder sich vorbei-
in der Nachbarschaft des Berliner Zoos, das mit seiner eindrucksvollen Ein Gastbeitrag von und überall gleich: Nur wer am Ball bleibt, bleibt für Kunden attraktiv. fahrende Autos zum Snack-Shop-Stop hinreißen ließen?
Dachlandschaft und seinen Freizeit- und Erlebniswelten Menschen posi- Marco Atzberger,
tiv überraschen will und nachhaltig zufrieden machen möchte. Der Le- Mitglied der Geschäftsleitung, 2010 stand die Modernisierung an. »Vor 13 Jahren hat sich noch kein
bensmittelhandel hat ebenfalls beachtliche Beispiele zu bieten: Der EHI Retail Institute Dorfladen mit Kaffeeecke gegründet, heute gehört sie mit dazu«, be- Wer allerdings in romantischer Verklärung eine emsige Emma in der
Edekaner Niemerzein steht für die Liebe zum Detail: ein historischer
Kaufmannsladen aus der Sammlung des Circus-Roncalli-Gründers Bern- Dorfladen Otersen mit Aller Café schreibt Lühning den bundesweit zu beobachtenden Konzeptwandel. Tenne erwartet, der wird sich wundern. »Emmas Enkel« sind spürbar
hard Paul sorgt für das besondere Ambiente im Store: Shoppen wie zu
Tante Emmas Zeiten. Oder Eataly: Der international agierende italieni-
sche Feinkost Händler zelebriert in dem ehemaligen Terminal des Bahn- GCM 2 / 2014 GCM 2 / 2014
GCM 2 / 2014 GCM 2 / 2014
4 Kauftypen 2025 8 Anfangen, wo andere aufhören – 1. Teil
german council insight
01 Vorwort 36 GCSC stellt sich vor
38 Termine 2014
titelthema in motion
04 Kauftypen 2025 vor ort
06 Frisch vom Sofa muss warten 42 Fließende Grenzen
08 Anfangen, wo andere aufhören – 1. Teil 48 Gesammeltes Wissen
14 Unternehmer ändern sich, Manager 50 »Aus Frequenz Umsatz machen«
machen weiter, wie gewohnt 54 Regional Dinner im Faber-Castell’schen Schloss
22 Anfangen, wo andere aufhören – 2. Teil 56 Moving Tea 2014
25 Wettbewerbsverzerrung durch Online-
Handel
26 Den Online-Shop immer im Hinterkopf foren
30 Vom Online-Handel lernen 58 Wie ein Shopping Center eine Geschichte erzählt
34 Kommentar: Von der Seitenlinie
impressum
herausgeber redaktion bezug verlag übernommen werden. erscheinungsdatum
German Council of Ingmar Behrens Mitgliederzeitschrift für Verlag Müller + Busmann Na ment lich gekennzeichnete dieser ausgabe:
Shopping Centers e. V. Prof. Dr. Johannes Busmann Mitglieder des GCSC e. V. Gmbh & Co. KG Bei träge müssen nicht die Mai 2014
Bahnhofstraße 29 Stephan Jung (viSdP) hofaue 63 Meinung der Redaktion
D-71638 Ludwigsburg Rüdiger Pleus auflage 42103 Wuppertal widerspiegeln. Die Redaktion das das nchste german
telefon 07141.38 80 83 Markus trojansky 13.000 telefon 0202.248 36 0 behält sich die Kürzung council magazin
telefax 07141.38 80 84 Klaus Striebich telefax 0202.248 36 10 eingesandter Ma nus kripte vor. erscheint im juli 2014.
office@gcsc.de bankverbindung mb@mueller-busmann.com Er füll ungs ort und
www.gcsc.de geschftsstelle Deutsche Bank AG, Ge richts stand ist Ludwigsburg.
des gcsc e. v. Ludwigsburg druck Nach druck oder sonstige
verantwortlich i.s.d.p. Bahnhofstraße 29 BLZ 604 700 24 Silber Druck ohG, Niestetal Repro duktion (auch
Stephan Jung D-71638 Ludwigsburg Konto 149 807 auszugsweise) nur mit
telefon 07141.38 80 83 Das German Council Magazin Geneh mi gung des
telefax 07141.38 80 84 Covermotiv ba siert auf In for mationen, die heraus gebers.
office@gcsc.de P. Behrens wir als zuverlässig ansehen,
www.gcsc.de eine haftung kann nicht
GCM 2 / 2014