Page 10 - German Council Magazin 02.2014
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        Anfangen, wo andere aufhören – 1. Teil



        Weil sich die Oterser nicht kilometerweit zum Einkaufen bewegen wollten, schoben
        sie ihren eigenen Dorfladen an. Mit Erfolg. Und der hat Folgen.











        Wenn Bauer Paul mit Enkel Jonas einkaufen geht, ziehen sie vorm Ge-  dachten die Oterser und entschieden sich für Engagement statt Unter-
        schäft die Schuhe aus. Ihren Stalldreck möchten sie nicht in den Laden   versorgung. Mit 75.000 Euro Invest lässt sich das Problem beheben,
        tragen. Zu Hause sind derlei Höflichkeitsgesten normal, beim Shoppen   errechnete Dorfbewohner Günter Lühning, von Beruf Sparkassenfilial-
        dürften sie ein Oterser Unikum sein. Otersen, 520 Seelen, ein Dorf ir-  leiter. Er schlug vor, eine Minigenossenschaft zu gründen, um die nach
        gendwo zwischen Hannover und Bremen. Die Landschaft ist idyllisch,   Abzug der Gemeindezuschüsse fehlenden 50.000 Euro zu finanzieren.
        die Schafe sind schmuck, die Gehöfte sind es auch. Hier wird beim Erle-  »Im schlimmsten Fall ist das Geld weg. Keiner haftet persönlich«, klär-
        digen der Besorgungen eher geduzt als gesiezt, geschnackt als gesmall-  te der heutige Vorsitzende des Dorfladen-Netzwerk.de seine Mitstrei-
        talkt, und was im Sortiment fehlt, besorgt der Krämer extra.  ter auf. Tatsächlich kauften 70 Bürger Anteilsscheine im Wert von je
                                                                250 Euro. Es war eine riskante Investition. Eine, die auf Lebensqualität
                                                                spekuliert, nicht auf geldwerte Rendite. Damals konnte jeder nur hof-
        Ohne den Laden hätte vermutlich bis heute niemand weiter Notiz von   fen, dass der Laden schwarze Zahlen schreiben werde. 13 Jahre später
        dem Ackerbürgerdörfchen genommen. Aber Nahversorger in flau be-  besitzen 120 Bürger Anteilsscheine und jeder weiß, mit 370.000 Euro
        siedelten Landstrichen sind mittlerweile erfreuliche Ausnahmen. Sind   Nettojahresumsatz trägt sich das Geschäft.
        sie dazu noch auf 180 Quadratmeter in tipptopp renoviertem Bauern-
        haus und in Bürgerbesitz, ist das schon außergewöhnlich. Wie es zur   Hätten die Oterser nicht zur Selbsthilfe gegriffen, wären sie, wie acht
        Kollektivierung der Nahversorgung kam, daran erinnert sich noch je-  Millionen andere Deutsche, in die Unterversorgung gerutscht. Allein
        der im Ort. Es war 2000, als der letzte Krämer altersbedingt seine Se-  in Bayern haben 70 % der kleinen Dörfer keinen Krämer mehr. Und
        gel strich. Gerade mal ein Dreivierteljahr Zeit blieb den Dorfbewoh-  von 125.000 eigenständigen Kaufleuten, die es 1970 bundesweit gab,
        nern, um die 15 Kilometer lange Fahrt zum Einkaufen abzuwenden.   waren vorletztes Jahr 25.000 übrig, bilanziert der deutsche Lebensmit-
        Allerdings entpuppte sich die Nachfolgersuche als aussichtslos und Fi-  teleinzelhandel. In den gleichen 42 Jahren sank die Zahl der Geschäfte
        lialketten winkten entschieden ab. »Stirbt der Laden, stirbt das Dorf«,   von 160.000 auf 36.866. Denn mit den Filialisten setzte sich die Maxi-



































         Dorfladen Otersen mit Aller Café


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